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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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Orleans. Die drei Mitschülerinnen aus dem Dorf, die den Bus besteigen, bemitleiden ihn, und eine von ihnen hat fast Tränen in den Augen; sie ist die schönste, deshalb unerreichbar, aber man kann ja träumen. Beim Einsteigen in den Bus sagt sie ein paar beinahe gehässige Worte über seine Mutter, aber er verteidigt sie mit aufrechtem Schweigen und einem leichten Lächeln.
    Die Tränen der unerreichbar Schönen stärken ihn, und er wandert erhobenen Hauptes heimwärts. Im übrigen kann er nicht tanzen. Unfug.
    Zuvor am Tag hat er einen letzten halbherzigen Überredungsversuch gestartet, die Mutter hat ihm unter Tränen gesagt, dass ja sie allein die Verantwortung für seine Erlösung trägt, worauf er schlagfertig erwidert Aber wenn der Papa lebte, dann glaube ich, dass er mich gehen ließe , doch nichts da.
    Jetzt ist der Aufruhr fast in Reichweite, aber er besinnt sich. Das Kalb noch nicht aus dem Schoß der Mutter. Er schläft auch an diesem Abend im Glauben an seinen Erlöser ein.
    Das Abendmahl gibt den Ausschlag.
    Es wird in einer Kirche gehalten, nicht im Bethaus. Zum Abendmahl zu gehen, ohne zu glauben, ist eine Todsünde, wird ihm mitgeteilt. Die Mutter ist verzweifelt, als er es ablehnt, sie zum wichtigsten Bekenntnisritus des Jahres zu begleiten, dem Abendmahl am Gründonnerstag. In strömendem Regen geht sie zum Bus, der sie, aber nicht ihn, zu Jesu Fleisch und Blut bringen wird.
    Er vermutet, dass sie weint.
    Er ist jetzt fünfzehn und von Angst oder Wut erfüllt, er weiß nicht recht, von was. Er überlegt, ob er auf die Knie fallen und den Erlöser um Rat und Anleitung bitten soll, sträubt sich aber plötzlich. Den toten Vater, den Wohltäter, scheint die Situation eigentümlich kalt zu lassen. Tatsächlich wird der Vater in diesen Fragen immer weniger herangezogen. Ist er eigentlich richtig erlöst, obwohl er da oben sitzt? Er scheint zu entgleiten, in einer Art stiller Trauer, ein nicht mehr Gefragter oder Gebrauchter.
    Die Minuten vergehen, er verachtet sich selbst, hat er Angst? Er hat keine Angst. Aber er weiß, dass er ihr weh getan hat.
    Plötzlich zieht er seinen Regenmantel an, holt das Fahrrad und macht sich auf den Weg.
    Er kennt den Weg gut. Ist ihn viele Male mit dem Fahrrad gefahren, hat immer die Zeit genommen. Er nimmt immer die Zeit, manchmal im Wald, manchmal auf der Landstraße, er misst sich. Konnte die Mutter von einem Leben mit dem Gesang träumen, der Oper vielleicht!, kann er von einem Leben als Radrennfahrer träumen. Das ist gerecht. Auch diesmal, auf dem Weg zum Abendmahl, achtet er genau auf die Zwischenzeiten. An markanten Punkten weiß er, ob er gut in der Zeit liegt. Jede Fahrt mit dem Rad eine Tour de France. Auch auf dem Weg zum Abendmahl. Ein Zeitfahren zu Oblate und Wein.
    Er findet es natürlich, die Fahrt unter dem Blickwinkel der sportlichen Leistung zu betrachten. Was ist die Alternative? Jesu Leiden am Kreuz, das im übrigen noch nicht angefangen hat, weil es gerade erst auf das letzte Abendmahl zugeht. Erst morgen Jesu Pein.
    Warum ist der Glaube so mit Angst verknüpft.
    Er versteckt sich jetzt hinter einer messbaren sportlichen Leistung. Ein kalter schwerer Regen fällt, er kämpft sich voran und spürt eine Art Glück. In der Kurve hinter Harrsjömyren 19.25 – nur eine halbe Minute unter Rekord. Es ist das erste Mal, dass er nein gesagt hat zu ihr. Er weint nicht, nein. Nur der Regen peitscht ihm ins Gesicht, das wie bei den großen Rennfahrern tief gesenkt ist gegen den schonungslosen Sturm . Er hat sich geweigert, mit ihr den Bus zu nehmen, er ist ein freier Mensch und fährt jetzt mit dem Fahrrad dem Abendmahl entgegen, trotz des Wetters mit glänzenden Zwischenzeiten . Er hat sich geweigert, jetzt ist er frei; fügt er sich trotzdem? Falls ja, voller Wut.
    Als er auf den Platz vor der Kirche einbiegt, stellt er fest, dass er die zweitbeste Zeit auf der Strecke in seiner Geschichte gefahren ist.
    *
    Er empfängt also Christi Gnade im Abendmahl.
    Als er der Mutter vom unerhörten Kampf der Radtour berichtet, verschweigt er ihr, dass er die Zeit genommen hat, die fast persönlicher Rekord war.
    Sie wäre verzweifelt gewesen.
    So wird es oft in diesen Jahren. Er kann nie die Wärme in der Gemeinschaft des Glaubens spüren; als er sich seinen Weg in die fast verbotene Welt des Sports bahnt, ist es, wie aus der Kälte zu kommen. Jetzt hat er trotzdem nachgegeben und die Radtour zum Tisch des Herrn unternommen, was ihr als ein Akt des Bekennens erscheinen

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