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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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gerade doch) mit der Frau des Hauses anstoßen darf.
    Nach nur zwei Tagen mit diesem Feldsoldaten der neuen Welt, ebenso lehrreich wie jener, und ebenso hilfreich und in unerwarteten Notlagen und bei drohenden Angriffen des Feindes, ist er bereit, seinen Eintritt in die Welt der Stockholmer zu wagen; er befindet sich zwar in Uppsala, aber der Begriff die Stockholmer hat sich in ihm festgesetzt: die Feindlichen, die Überlegenen, die es also im Süden nach Jörn zu gab.
    Aber Uppsala war ja nicht so. Zu seiner Verwunderung entdeckt er, dass er jetzt in einer dem Anschein nach klassenlosen Gesellschaft lebt.
    Niemand hat eine Zugehörigkeit, er selbst ist weder Arbeitersohn noch der Lährarinn’jong , möglicherweise Västerbottninger, was in der Nationswelt von Uppsala ein Vorteil ist. Wie alle Studenten aus Norrland gehört er Norrlands Nation an, die mit zahllosen Feten und Nationsmannschaften in Handball und Fußball eine Großmacht darstellt, aber selbst nach einem Jahr, eigentlich die gesamte Zeit in Uppsala hindurch, hat er keine Ahnung, wer in seiner ständig wachsenden Kameradenwelt Ober- oder Unterklasse ist.
    Eltern sind ausradiert. Keiner ist reich oder arm, richtiger gesagt: Man verbirgt dies in einem Subtext, den niemand offenlegt. Beschämend, von ererbtem Geld zu leben. Spricht man nicht drüber. Peinlich. Alle erscheinen aus dem Blickwinkel der Klassenzugehörigkeit wohltuend geschichtslos, haben nur ihre Begabung oder Dummheit oder ihre Eigenarten.
    Und seine eigenen Eigenarten sind auf einmal nicht besonders abweichend.
    Er weiß nicht, ob er sich darüber freuen oder es bedauern soll. Die Sorge des jungen Gustafsson, dass der junge Enquist anderst wirken könnte, ist irrelevant. Die meisten scheinen sich für Sport oder Film oder Hitlisten oder T. S. Eliot oder Sex zu interessieren.
    Tastend streckt er seine Fühler nach Kontakten zu den Damen des Studentenlebens aus.
    Er ist auf diesem Feld bislang etwas spät dran. Praktisch zurückgeblieben.
    Schon im zweiten Oberstufenjahr küsst er zum ersten Mal ein Mädchen und ist schockiert, als er Speichel in den Mund bekommt. Verliert die Unschuld mit neunzehn. Ihm ist klar, dass er sich seiner Schüchternheit oder Zurückgebliebenheit schämen sollte, aber er ermannt sich und spielt einen, der gelassen die Welt betrachtet, ein Ausdruck, den er von Tranströmer gestohlen hat. Er saugt alle Eindrücke auf und weiß dann nicht, was er damit anfangen soll, das gilt für Bücher und Frauen gleichermaßen. Eben erst befreit, hat er Angst, eingefangen zu werden, er glaubt, dass Gefühle fürs Leben sein müssen, und verweigert sich deshalb panisch.
    Gefühle sind wie die Ewigkeit, ein Fels im Meer, verpflichtend für jemand, der lieb ist. Davor ist ihm angst und bange.
    Ein neuer Sportkamerad, der Theologie studiert, stellt sich als Grossist in Kondomen heraus, ein überraschender Nebenjob für den aufstrebenden Pastor. Er hat unter den zukünftigen Theologen eine Marktanalyse durchgeführt und Armut plus eine große Nachfrage nach Poppgummis festgestellt, wie es in den vierziger Jahren hieß; ein Wort das er im Gespräch nach Möglichkeit vermeidet. Das erste Kondom, das er selbst gesehen hat, wurde ihm unmittelbar nach Kriegsende, also nach dem Zweiten Weltkrieg vorgeführt, von Hasse Svensson, möglicherweise Maurits Renström. Das Gummi war hinter einem Holzschuppen in der Nähe des Schulhauses vergraben. Alle standen im Kreis darum herum, ehrfürchtiges Entsetzen, aber angesichts des erdigen Gummilappens stellte sich die Vorstellung ein, dass Kondome irgendwie aus der Erde wuchsen, vielleicht pikiert wie Kiefernsetzlinge.
    Jetzt lebt er in einer anderen Welt.
    Der Theologe richtet sich in dieser lukrativen Nische ein und kann große Posten zu einem äußerst günstigen Preis anbieten; für eine relativ unbedeutende Summe bestellt er bei jenem eine Großhandelspackung von dreihundert Kondomen und bringt sie leicht zugänglich in einer Schreibtischschublade unter, in der Hoffnung, dass sie irgendwann in sehr naher Zukunft aufgebraucht sein werden.
    Eines Tages kommt seine Mutter zu Besuch, putzt sein Studentenzimmer im Studentvägen 6 und entdeckt zu ihrem Entsetzen das reichhaltige Sortiment, das sich in der obersten Schublade ausbreitet. Er kommt aus der Etagenküche herein, sieht sie auf dem Bett sitzen und sprachlos vor Entsetzen auf die geöffnete Schublade zeigen – ein Schock, vielleicht weniger angesichts der Existenz der Kondome als angesichts

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