Ein anderes Leben
scheint sich den richtig Erfolgreichen anzunähern; bei den akademischen Weltmeisterschaften in Turin wird er mit 1,96 Metern Fünfter, trotz miserabler und allzu weicher Anlaufbahnen , wie er es selbst gern formuliert, und er stellt fest, dass die Formkurve langsam nach oben zeigt; die gesamte Weltelite im Hochsprung ist da, und er fühlt sich ganz dicht dran . Bei den Schwedischen Meisterschaften kommt er auf Rang vier, aber nicht aufs Treppchen! Aber nicht aufs Treppchen! Und keine Nominierung für den Finnlandkampf! Und Idrottsbladet bringt es auf den Punkt mit einer Formulierung, die sich einätzt: er war best of the rest .
Sollte er dort bleiben?
Später eine Einladung von Israels Akademischem Leichtathletikverband, jetzt geht es aufwärts! Aufwärts! Er ist sechs Wochen dort. Nimmt an Wettkämpfen im ganzen Land teil und wohnt in der Universität in Jerusalem.
Es ist noch eine Zeit der Unschuld, und er meint, dass er dieses tapfere kleine Land liebt.
Das ist der Ausdruck: Er liebt dieses tapfere kleine Land . Eine Zeitlang wiederholt er das. Der Palästinakonflikt existiert nicht. Manchmal bringt er das Problem vorsichtig zur Sprache, aber man versichert ihm, dass die Flüchtlinge in den Lagern diese gar nicht verlassen wollen . Er bekommt ein unklares Bild, das dem klassischen Klischee des Kommunalarbeiters gleicht, der sich leicht und locker auf seinen Spaten stützt. Die halbe Million palästinensischer Flüchtlinge will eigentlich in den Lagern bleiben , das ist der Gedanke. In den sechs Wochen in Israel verwendet er nur einen Bruchteil seiner vielleicht nicht geringen Begabung dazu, politisch zu denken. Er trampt kreuz und quer durch Israel, verbringt eine Woche im Kibbuz nördlich von Genezareth und schläft fünf Nächte am Strand von Eilat.
Noch ist er politisch erstaunlich unbedarft, wenn man all das bedenkt, was er immerhin gelesen hat. Aber es ist auch etwas anderes. Ist es nicht wie in Jack Kerouacs Unterwegs ? Plötzlich kann er, wie ein Schattenbild vor sich, den Reisegefährten sehen, den Vater, aber jetzt nicht als Wohltäter, sondern als verantwortungslosen und anarchistischen Kerouac, der sich treiben lässt, auf der Flucht vor allem, was von ihm erwartet wird.
Er ist sicher, dass der Vater es hasste, so lieb zu sein. Bestimmt hat er sich deshalb in einem geheimen Orden versteckt.
Wenn er das denn wirklich getan hat.
Er hätte in Israel bleiben können.
Hat er nicht hiervon sein ganzes Leben geträumt, dahinzutreiben, allein und frei von Verantwortung? Der sportliche Teil ist keine Last, er bestreitet fünf Wettkämpfe und gewinnt sie alle und lebt in Jerusalem zusammen mit einer Gruppe von Basketballern. Einen von ihnen wird er noch einmal sehen, als er ein Reportagebuch über die Olympischen Spiele in München 1972 schreibt. Er trifft ihn in Augsburg; es ist die Qualifikation für die Olympischen Spiele im Basketball. Damals, in Israel, gingen alle in weißen Hemden mit aufgekrempelten Ärmeln, und es war leicht zu leben. Die israelische Mannschaft verpasst die Qualifikation und wird nach Hause geschickt. Die Erfolgreichen in der israelischen Truppe bleiben und werden auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck bei München niedergemäht.
Das ist später, 1972. Jetzt, im Jahr 1963, ist er Sportler, noch eine Art Unschuld, aber er hat zwei Romane geschrieben. In Israel ist alles frisch und spielerisch, und genau so will er leben.
Er hat ja gelesen, dass das freie Leben genau so ist. Jetzt wird es bestätigt.
Sein Verhältnis zum Sport ist kompliziert.
Einen Sommer lang arbeitet er in Nymans Werkstatt in Uppsala und montiert Bootsmotoren; er ist gezwungen zu stehen, was seiner Geschmeidigkeit Abbruch tut, und verstrickt sich daraufhin in einen erbitterten gewerkschaftlichen Kampf dafür, im Sitzen arbeiten zu dürfen.
So entwickelt sich seine politische Einsicht.
Mit der Hochsprungmafia Richard Dahl, Benke Nilsson und Stickan Pettersson geht er auf Schweden-Tournee, und bei dem einen oder anderen Wettkampf gelingt es ihm, verbotene finanzielle Vergütungen einzustreichen, also mehr als nach den Amateurbestimmungen zulässig. Er wird von Sorge erfasst, aber auch von Stolz – er ist auf gewisse Weise Gunder Häggs Ebenbürtiger: Dieser wurde vor vielen Jahren disqualifiziert und wäre für den Fall, dass, ein Bruder im Unglück . Doch niemand zeigt ihn an, nichts passiert, er resigniert.
Dass er eine Einzelsportart wählt, ist nicht verwunderlich. Ein Springer ist prinzipiell
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