Ein anderes Leben
västerbottnische Sommerwärme entgegenschlägt. Nach einer Weile bekommt sein Gehorsam, oder sein versteckter Ungehorsam beim Tragen der Mütze, nahezu symbolische Untertöne. Er hat eine Art und Weise gefunden, mit ihrer Einsamkeit und ihren Forderungen und ihrem Fundamentalismus zu leben, wenn der letztere überhaupt noch existiert.
Vielleicht ist Barmherzigkeit das Wort.
Er hat gelernt, bis in jede Einzelheit ihre Anweisungen zu bejahen, und dann zu tun, was er will. Tief in seinem Inneren weiß er, dass sie ihn durchschaut. Er ist ja das einzige Kind.
Außer ihm hat sie ja nichts, vom Erlöser abgesehen.
Eigentümlicherweise scheint sie zu akzeptieren, dass er schreibt, Texte, von denen er behauptet, sie könnten Romane werden. Alles, was er sich als Kind vorstellte über das Sündige daran, Erdichtetes zu schreiben , kann er nicht mehr bei ihr entdecken. Er grübelt darüber nach, ob er sie missverstanden hat. Waren diese Vorstellungen gar nicht ihre gewesen? Sondern seine eigenen? Als er seine zweite Gedichtsammlung an Bonniers geschickt hat, kurze Ablehnung, erzählt er ihr am Telefon von dem Misserfolg. Sie scheint seltsamerweise aufrichtig betroffen zu sein und versucht ihn zu trösten, als wäre sie keine Mutter, sondern ein Freund.
Einmal fragt er sie am Telefon, warum sie nie wieder geheiratet habe; es folgt ein Augenblick Schweigen, dann antwortet sie mit sehr leiser Stimme Ja aber ich dachte, du möchtest ihn nicht leiden .
Erst nachdem er aufgelegt hat, versteht er, was sie meint und wen sie meint. Wer dieser er ist. Es war ein Lehrer, der ein Jahr zur Vertretung da war. Hätte es etwas werden können? Seine Auffassung damals war, dass seine Mutter und der Vertreter miteinander auskamen . Das war alles. Aber dem Kind zuliebe wurde nichts daraus. Das Kind würde ihn wohl nicht mögen. Er musste etwas gezeigt haben.
Die Schuld trifft ihn wie ein Faustschlag. Sie hatte Rücksicht auf ihn genommen.
Er ermannt sich, denkt Unfug! Kann aber in der Nacht nicht schlafen.
Seiner scheinbar glänzenden Physis zum Trotz stimmt etwas mit ihm nicht. Es ist der Enquistmagen.
Er hat in regelmäßigen Abständen Magenblutungen, wird ins Akademiska sjukhuset eingewiesen, bekommt eine Diagnose, niemand versteht, warum er eigentlich blutet. Die Blutungen schließlich immer schlimmer, er wird operiert, erfährt, dass die Operation Billroth II heißt, wobei der größere Teil des Magensacks entfernt wird. Der operierende Arzt berichtet ihm von einer Diffusionsblutung, die sich über die gesamte Magenschleimhaut erstreckt.
Gemeinsam suchen sie nach einer Erklärung.
Als er fünfzehn war, hatte er entdeckt, dass Magnecyl-Tabletten, wenn man sie wie ein Stück Kautabak unter die Oberlippe schob, eine eigentümlich euphorisierende, erhebende Wirkung hatten. Er verbraucht sämtliche Magnecyl-Packungen der Mutter, manchmal bis zu fünfzehn Tabletten pro Tag. Plötzlich werden seine fast nicht mehr vorhandenen Blutwerte entdeckt, er kann kaum noch gehen, der Magnecylmissbrauch wird aufgedeckt, er kommt langsam wieder zu Kräften, aber seine Magenschleimhaut wird nie wieder so, wie sie hätte sein sollen. Zehn Jahre später wird er operiert.
Magnecylabhängigkeit! Die Warnglocken hätten dröhnen sollen!
Immer mehr lebt er in zwei weit voneinander entfernten Welten.
Als er einmal im ersten Jahr der Zeit in Uppsala dem Kollegen Gustafsson zeigte, dass er schrieb, handelte es sich um einen Ausbruch innerer Zuversicht. Es wiederholt sich keinem anderen Studienkollegen gegenüber. Er hat große Angst, als hochmütig zu erscheinen, wenn er erzählt, dass er schreibt. Hochmut! Der Bauernstudent glaubt, etwas zu sein! Deshalb schweigt er über das einzige, was jetzt Bedeutung hat. Äußerlich führt er ein normales Leben, er macht seine Examen, spielt Handball und betreibt Hochsprung, besucht Tanzabende von Norrlands Nation, seine Normalität ist enorm. Gleichzeitig schreibt er in den Nächten, zeigt aber niemandem etwas, außer den Verlagen, die in regelmäßigen Abständen mit den von ihm eingesandten Manuskripten behelligt werden. Als er dazu übergeht, ausschließlich Romane zu schreiben, wird ein anderer Verlag behelligt, Norstedts. Die beiden ersten Romane bringen ihm abwartende, aber trotz allem sehr lange und gut begründete Absagen ein.
Nachdem er das dritte Manuskript eingesandt hat, erhält er von Lasse Bergström, einem jungen Verleger bei Norstedts, eine Einladung zu einem Gespräch in Stockholm.
Er nimmt den
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