Ein anderes Leben
ohne sich darum zu kümmern, wessen Stimmen durch seine hindurchklingen. Im Herbst 1958, nach der Fußball-WM – aber ohne Bezug zum schwedischen zweiten Platz –, schickt er eine Gedichtsammlung an Bonniers.
Nach langem Zögern gibt er der Sammlung den kontroversen Titel Bilder . Es wird eine knappe Absage.
Er bemerkt, dass der Verlag immerhin schriftlich bekräftigt, dass sie ihm für die Einsendung der Gedichtsammlung sehr dankbar sind. Aber leider keine Möglichkeit sehen. Möglicherweise war der prinzipiell asketische Titel zu kurz. Ein Lektor kam vielleicht nicht dazu, die fast ironische Kühle wahrzunehmen. Er hätte sie doch Bericht über Flucht zu Inseln nennen sollen.
Im zweiten Dorf hatte es einen sehr begabten Klassenkameraden gegeben, er hieß Åke Jonsson. Als in Bureå die Höhere Volksschule eingerichtet wurde, hatte die Mutter vorgeschlagen, dass auch dieser junge Schüler weiter studieren sollte.
Es sei zweifellos das Richtige, hatte sie seinen Eltern gesagt. Diese hatten daraufhin überlegt und eines Abends der Mutter einen Besuch abgestattet und zu einer kleinen Tasse Kaffee nicht nein gesagt, aber erklärt, ein sehr ernstes Problem diskutieren zu wollen.
Es war prinzipieller Art, hatten sie angedeutet. Sie hatten unter Tränen um Rat und Wegweisung zu Gott gebetet, was die Zukunft des Sohns anbetraf. Sie waren zu dem Ergebnis gekommen, dass er nicht weiter studieren sollte. Es hatte auch deshalb Tränen gegeben. Die Mutter hatte, verwundert und empört zugleich, nach dem Grund gefragt, und sie hatten geantwortet, sie fürchteten, das Kind würd den Glauben wegstudiern .
Dazu kam es jedoch nicht. Er sollte somit in der Frömmigkeit der Eltern verbleiben.
Er selbst denkt jetzt nicht mehr so oft an das Ereignis, kann aber in seinem eigenen Leben die Bekräftigung finden, dass diese innig gläubigen Menschen in ihrer Sorge um das Verbleiben ihres Sohns im Glauben an den Erlöser Jesus Christus sicher eine richtige Analyse vorgenommen haben.
Er kann es an sich selbst sehen. In Uppsala verblasst der Glaube.
Seine feste Glaubensgewissheit, seine Angst, sein Vertrauen, sein Sündenbewusstsein, alles gleitet langsam hinab in Weltlichkeit und Poesie und vermischt sich und verschwindet fast. Was einst so wichtig war, kommt ihm jetzt entlegen vor. Es ist kein dramatischer Aufbruch, die Dinge gleiten einfach davon. Er studiert den Glauben weg. Es geht seltsam schmerzfrei, wenn man bedenkt, wie schmerzhaft es früher war.
Es gleitet einfach davon.
In sehr langen Abständen ruft er die Mutter an.
Ihre Stimme klingt sehr fern, sie denkt viel an ihn, fragt sich, wie es ist in der Stadt der Gelehrsamkeit, wie er seine Prüfungen schafft; er beruhigt sie. Wenn er den Hörer auflegt, schämt er sich, weiß aber nicht warum. Wenn er sie in den Sommern besucht, sieht sie weniger stark aus als früher, fast weich, keine aufdringlichen Fragen nach dem Motto wie hältst du es mit Jesus , mit denen Pastor Stjärne ihn damals zu terrorisieren pflegte. Sie fragt nur einmal, am 12. August 1959, vor seiner Rückreise nach Uppsala, fragt ihn fast schüchtern, was er empfindet für seinen Erlöser.
Er antwortet auch jetzt beruhigend.
Er bemerkt, dass sie, die einst ein ganzes Dorf mit ihrer eisernen Hand gelenkt hat – auch wenn diese eiserne Hand ihn selbst nie traf, er war ja trotz allem so lieb –, dass sie jetzt milder geworden ist. Sie legt eine verblüffende und bislang ungekannte Toleranz angesichts des Hereinbrechens der neuen Welt an den Tag. Auch Ingemar Johanssons Weltmeisterkampf im Schwergewicht im Juni 1959 will sie am Rundradio verfolgen, sagt sie, schläft aber schon um elf Uhr am Abend ein und schnarcht laut. Er weckt sie in der morgendlichen Euphorie und berichtet von dem schwedischen K. o., sie sagt schlaftrunken Nein, tatsächlich, Preis und Dank, das war wohl ein Wunder Gottes , und schläft wieder ein.
Ihre Fürsorge um ihn immer unsicherer, oder hilfloser.
Einen Mittsommer, als ein plötzlich aufgekommenes Hochdruckgebiet mit über fünfunddreißig Grad Hitze über dem Küstenland von Västerbotten liegt, sagt er, er wolle Freunde besuchen und könne ihr am Mittsommerabend leider keine Gesellschaft leisten. Sie senkt resigniert den Kopf und fragt nichts, bittet ihn aber doch, sicherheitshalber die Strickmütze aufzusetzen, für den Fall, dass es kühl wird. Er sagt ja, setzt die Mütze auf und verschwindet, nimmt sie aber selbstverständlich ab, als ihm an der Haustür die wunderbare
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