Ein anderes Leben
gewöhnt sich daran, Prügel zu beziehen und neue Feinde zu bekommen. Einmal wird es ein wenig speziell. Er befindet sich auf einer Reise in Deutschland und auf dem Balkan und verfolgt in den Zeitungen das Drama um die Räumung von Phnom Penh. Eine Dreimillionenstadt wird jetzt von fünf Millionen bevölkert, keine Nahrung, Epidemien brechen aus, da wird plötzlich eine totale Räumung der Stadt befohlen. Er findet dies drastisch, aber vielleicht vernünftig: alle sollen raus aufs Land, um Landwirtschaft zu betreiben und Nahrung zu beschaffen.
Gesunde Bauernreaktion. Beton macht niemanden satt, nicht einmal Straßen aus Gold, und auf keinen Fall in Phnom Penh.
Er muss jedoch lernen, dass vollständig korrekte Standpunkte im Lauf der Zeit gänzlich falsch werden können. Die westliche Presse wütet über die Räumung, er ist empört über die Scheinheiligkeit, die darin besteht, dass man sich nicht fragt, wer eigentlich diese Hölle in der Folge des Vietnamkriegs geschaffen hat, nämlich die USA. Er schreibt einen kurzen Artikel über die Krokodilstränen der Medien, der die Sätze enthält: ›Da räumte man das Haus aus und begann es zu putzen. Man begann Fußböden und Wände zu scheuern, weil Menschen hier nicht in Erniedrigung leben sollten, sondern in Frieden und Würde. Im Westen fließen da die Krokodilstränen. Das Hurenhaus ausgeräumt, es wird geputzt. Hierüber können nur Zuhälter traurig sein.‹
Auf diese korrekte Analyse, möglicherweise mit Ausnahme des Wörtchens ›nur‹, folgt dann in den kommenden Jahren die entsetzliche Wirklichkeit mit den Killing Fields, einer Million Toten, furchtbaren Leiden für die Vertriebenen und der Existenz eines der schlimmsten Massenmörder der Geschichte, Pol Pot. Während eines Jahrzehnts hängen ihm die Bezeichnungen Pol-Pot-Anhänger und Völkermordnostalgiker an. Das erste, bezüglich Pol Pot, ist jedoch auf eine spezielle Weise peinlich: Er verschweigt, dass er, als er den Artikel schrieb, von der Existenz Pol Pots nichts wusste.
Dieser Unwissenheit schämt er sich, im übrigen schämt er sich nicht und meint, vollständig recht gehabt zu haben, als er den Artikel schrieb.
Fühlt er sich nicht im Innersten ein wenig erheitert über die Anwürfe? Seine sozialdemokratische Langweiligkeit bekommt auf einmal, wenn keinen Goldrand, so doch einen kleinen blutigen Akzent, einen roten Streifen im Grau. Vielleicht ist er doch nicht ganz aus Beton? Völkermordnostalgiker – es hat ein paar Jahrzehnte gedauert, das Joch des Liebseins abzuwerfen – oder hing es nicht wie ein Albatros um den Hals? – aber jetzt taucht es auf, wie ein kleines frivoles Aufstoßen.
Ein bisschen erschüttert ist er aber doch, als es Jahr um Jahr hängen bleibt. Dieser Hass. Dass er sich plötzlich als ein Mann mit so vielen Feinden erweist. So vielen! Waren sie nicht darüber informiert, dass er der Liebste im Dorf war?
Es musste auch noch etwas anderes sein. Manchen ist er wirklich ganz und gar zuwider. Es kann nicht nur die Räumung von Phnom Penh gewesen sein. Etwas anderes.
Doch es gibt schlimmere Reste von Unklarheit im Wertesystem. Und da schlägt alles zurück, fast tödlich.
Einige Jahre später kauft er, auf dem Weg in eine Scheidung und mit einem schlingernden Privatleben, schwarz eine Arbeitswohnung. Nicht schön, wenn man bedenkt, dass er gerade zusammen mit Anders Ehnmark ein Stück über Wirtschaftskriminalität geschrieben hat, das unter erheblichem Medientrubel auf der großen Bühne des Dramaten gespielt worden ist. Doch das ist nicht das eigentliche Problem; er ist nicht der einzige, der auf dem schwarzen Markt kauft.
Es geht um sein Verhältnis zum Gewissen.
Inspiriert von ihrem Stück Chez nous startet die Mietervereinigung eine große Kampagne gegen schwarze Wohnungen, und die Wohnung, die er gekauft hat, wird von der Lawine mitgerissen. Der Makler, den er beauftragt und der ihm zum Preis von achtunddreißigtausend Kronen einen Vertrag besorgt hat, kommt vor Gericht, und er ist gezwungen, zusammen mit anderen Schwarzkäufern vor Gericht auszusagen. Gezwungen ist ein fragwürdiges Wort. Er tut es. Da fängt alles an.
Er hat selbst den Makler beauftragt, es war seine Initiative. Eine Wohnung schwarz zu kaufen, ist keine Straftat, wohl aber, eine zu verkaufen; er trägt mit seiner Aussage dazu bei, dass der Makler verurteilt wird. Alles wird in den Medien breitgetreten. Er erscheint den einen als gesetzestreu, als Zeuge betrachtet fast rechtschaffen. Den
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