Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
Vom Netzwerk:
Bewegung redete man ständig von Solidarität. Und Mangel an Parteiloyalität war entschieden nicht karrierefördernd. Wer nicht selbst ging, wurde gegangen.
    Es blieben nicht viele offiziell akzeptierte Schriftsteller übrig. Die meisten waren ja irgendwie links, wurden von der Partei jedoch mit Besorgnis betrachtet. Auf den Parteikongressen las man immer dasselbe Gedicht von Svante Foerster vor, dessen Schlusszeile lautete: ›Abstimmung ist beantragt und wird durchgeführt.‹ Das bot eine Art Sicherheit.
    Er weiß nicht genau, wie es dazu kam.
    Aber mit der Zeit wurde er einer in dieser sehr kleinen inoffiziellen Gruppe, deren Mitglieder von der Bewegung als sozialdemokratische Schriftsteller akzeptiert wurden.
    Teilweise konnte er die Schuld daran, oder das Verdienst, bei sich selbst suchen. Er erklärt in der großen Zeit der neuen Sechzigerjahre-Linken bockig, dass er Sozialdemokrat ist. In Momenten der Einsicht bezüglich unverdauter Freud weiß er nicht recht, ob er damit gegen die Mutter oder für den Vater Position bezieht, aber das Bockige ist auf jeden Fall eine Tatsache. Er nimmt Aufträge von der Partei an, immer im Kultursektor, aber doch sehr deutliche politische Aufträge. Wie der Radioausschuss oder der Kulturrat. Er führt eine Ein-Mann-Untersuchung zur Filmpolitik durch. Er schreibt in seinen Artikeln ›meine Partei‹, auch wenn er ihretwegen Wutausbrüche bekommt.
    Er hat sich entschieden, und findet es nur logisch, auch dabeizubleiben. Sozi zu sein ist wohl genauso intellektuell unanständig wie Hochspringer, denkt er, dann bin ich es eben. Muss mich wohl mit meinen Begrenzungen abfinden. Er holt tief Luft und beschließt, die Anfeindungen in Kauf zu nehmen, merkt aber nach einer Weile, dass es so schlimm nicht ist. Manchmal kommt Wind auf, aber kein starker. Die Verachtung für ihn, weil er sozialdemokratischer Lakai ist, verfliegt. Er ist auf jeden Fall deutlich.
    Das genau ist es. Wie deutlich ist er?
    ›Dieser Enekvist‹. Wie sieht eigentlich sein Wertesystem aus, und woher kommt es?
    In Moralfragen schwankt es. Er weiß das, hält aber die Maske. Im Grunde ist er viel wertkonservativer, als er den Anschein geben möchte. Ein Teil des moralkonservativen Wertesystems der schwedischen Arbeiterklasse weist gewisse Ähnlichkeiten mit seinem eigenen auf, das er der Öffentlichkeit notdürftig vorenthält. Die persönliche Verantwortung! Mehr Atomkraftwerke! Windkraftwerke pfeifen! Einwanderer sollen Schwedisch lernen und arbeiten und Steuern bezahlen! Man soll für sich aufkommen! Wer Beihilfe erschleicht, fällt anderen zur Last! Arbeit für alle! Arbeit für alle! Keine Hätschelei in der Kriminalpolitik! Ordnung und Klarheit und härtere Anforderungen in der Schule! Disziplin! Mehr Noten und früher! Praktisch jeden Monat! Und so weiter, und so weiter. Nicht all dies, aber in dieser Richtung.
    Leicht zu erklären, aber nicht immer schön.
    Er ist in den politischen Raum eingetreten und hat sich Takt und Ton und Gebräuche angeeignet. Aber ein richtiger Kulturradikaler ist er auch nicht. Hat er seine ideologischen Wurzeln nicht eher in einer kulturkonservativen Erweckungsbewegung? Mehr dort als in der Sozialdemokratie? Oder was kommt zuerst?
    Einmal erzählt Erlander ihm, dass er in Värmland eine Rede über das Verhältnis der Erweckungsbewegung zur Arbeiterbewegung gehalten und dabei aus seinem Roman Der Sekundant zitiert habe, was die Arbeiterbewegung von der Erweckungsbewegung gelernt habe: den Glauben an die persönliche Verantwortung . Es zog sich eine Linie von der Erweckungsbewegung über die Enthaltsamkeitsbewegung zur Arbeiterbewegung, und diese Linie betraf die persönliche Verantwortung . Das konnte man also aus dem Roman herauslesen. Aber verstand er es selbst?
    Wie verhält es sich denn mit der Deutlichkeit? Wer ist der grundlegende Ideologe seines Wertesystems? Marx, Bernstein oder die Volksschullehrerin an der Volksschule Hjoggböle, Maja Enquist, Evangelische Vaterländische Stiftung?

Er beschließt, sich darüber keine Gedanken zu machen. Es ist, wie es ist .
    Manchmal zeigt jedoch die sozialdemokratisch festzementierte, einst kreisende Kompassnadel gewisse kuriose Ausschläge. Es ist die heimliche Sehnsucht des sozialdemokratischen Betonkopfs, etwas Wilderes und Gefährlicheres zu sein.
    Er befindet sich jetzt auf der wilden Kulturseite von Expressen in einem fast permanenten politischen Kriegszustand, aber er beklagt sich nicht. Es ist im Grunde stimulierend. Er

Weitere Kostenlose Bücher