Ein anderes Leben
anderen als fragwürdig, weil er die Wohnung gekauft hat. Aber für ihn selbst liegt das Problem nicht darin.
Plötzlich sieht er ein, dass alles falsch ist. Er hatte den Makler selbst beauftragt.
Er hätte die Aussage verweigern sollen. Das wäre auf der anderen Seite wahrscheinlich strafbar. Aber wäre er seinem Gewissen gefolgt, hätte er Verantwortung übernommen, die persönliche Verantwortung .
Statt dessen begeht er einen Verrat.
Er hat gegen die grundlegendste Regel verstoßen, die er als Kind gelernt hat: Man muss das Gewissen über das Gesetz stellen . Verstößt man dann gegen das Gesetz, muss man seine Strafe annehmen, weil das zivilisatorische Prinzip sagt, dass die Gesellschaft so beschaffen ist, als eine Absprache zwischen Menschen, die eingehalten werden muss. Über allen diesen Prinzipien rangiert jedoch das Gewissen. Folgt man dem Gewissen, kann man ruhig seine Strafe hinnehmen.
Aber er hat unter allen möglichen Lösungen die schlechteste gewählt. Und alle Prinzipien verraten, mit denen er aufgewachsen ist. Er weiß nicht sicher, woher die Moral kam, aus der Bibel oder aus der Welt der sportlichen Moral. Aber er hat das Falsche getan, und das tut weh.
Seine Umgebung begreift nicht, was mit ihm los ist, findet seine heftige Reaktion kurios, aber seinem Gewissen geht es sehr schlecht. In den Diskussionen vieler Jahre hat er gelernt, Schläge einzustecken. Einen Schlag einzustecken für etwas, an das man glaubt, macht ihm nichts aus, wie hart der Schlag auch sein mag. Aber einen Schlag zu bekommen für etwas, wofür man nicht einstehen kann oder woran man nicht glaubt: da fällt man beim leichtesten Antippen. Tatsächlich braucht er Jahre, um dieses Nagen in seinem Inneren loszuwerden, für das er kein anderes Wort hat als Scham .
Sie verblasst langsam, aber nie ganz.
In den ersten Monaten schließt er sich nur ein, will niemanden sehen.
Was er tun kann, ist schreiben, vielleicht über Scham. In einer langen Nacht schreibt er das Schlusskapitel vom Auszug der Musikanten , die Schilderung von Onkel Arons Selbstmord, wie dieser, nachdem er sich an Eeva-Lisa vergangen hat, in einer stürmischen Nacht mit unfassbarer Entschlossenheit auf das Eis der Burebucht hinauswandert, mit seiner Brechstange ein Loch ins Eis stößt, die Brechstange verliert, zurückgeht, eine neue Brechstange holt, das Loch im Eis verbreitert, mit dem schweren Rucksack voller Kartoffeln, der ihn hinabziehen soll, hängenbleibt, es ihm aber schließlich gelingt, nach vielen Stunden im nächtlichen Schneesturm auf dem Eis, erfolgreich hinunterzusinken in das schwarze schwindelnde Loch, in das tiefste Dunkel des Meeres.
Fast eine Heldentat.
Die Scham war Onkel Arons Antrieb. Aber es war dennoch eine Heldentat, fast eine sportliche Leistung, mit unfassbarer Entschlossenheit diesen physisch betrachtet mühsamen Selbstmord zu bewerkstelligen, fast bewundernswert, ja, ganz sicher bewundernswert.
Die Zeit der Unschuld ist vorbei. Er befindet sich an einem sehr hell erleuchteten Platz.
Es hat mit einem Roman zu tun, den er geschrieben hat.
Was ist geschehen?
Einige Wochen nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Prag im August 1968 soll sein Dokumentarroman Die Ausgelieferten erscheinen. Keine abstrakte Moraldiskussion mehr. Jetzt ist es ernst.
Das Buch handelt von der Auslieferung von hundertsechsundvierzig baltischen Militärflüchtlingen an die Sowjetunion und gibt unbestreitbar ein vom Gängigen abweichendes Bild dieses schwedischen Traumas. In seinem Verlag ist eine gewisse Nervosität spürbar: Kann das Buch in irgendeiner Weise als Sympathiebezeugung für das Agieren der Sowjets aufgefasst werden? Was mit Blick auf die aktuelle Lage einer Katastrophe gleichkäme.
Eine Krisensitzung wird einberufen.
Der Verlagsleiter, Ragnar Svanström, ist ernsthaft besorgt und schlägt vor, das Buch nicht wie die übrigen Titel des Verlags an einem bestimmten Erscheinungstag herauszubringen, sondern es sozusagen unbemerkt herauszuschmuggeln.
Er selbst ist empört, und Lasse Bergström, der Ragnar Svanström noch unterstellt ist, bekommt einen für ihn höchst ungewöhnlichen, aber kontrollierten Wutanfall und verlangt, dass Die Ausgelieferten behandelt wird wie alle anderen Bücher.
So geschieht es auch. Die Ausgelieferten wird nicht herausgeschmuggelt.
Kapitel 7
EINE EXPEDITION
Alles ist eigentlich in sehr kurzer Zeit passiert.
Er beendet seine Lizenziat-Abhandlung in Literaturwissenschaft und weiß, dass etwas zu Ende ist. Er
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