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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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auf Abstand. Wo es nicht so weh tut. Sondern ein schwedisches Trauma aufgreifen. Weniger entlegen, mehr mit Schmerzen verbunden.
    Er entschließt sich.
    Ein schwedisches Trauma also. Er fasst den Entschluss, eine Expedition anzutreten. Jetzt kann er sich vorstellen, auf Ryssholmen an Land zu gehen.
    So fängt es an. In Oak Ridge. Kann es am 12. Juni 1966 gewesen sein?
    Viele Jahre danach, als er in das spätere Dunkel eingetreten ist und sich verzweifelt fragt, wie es so schlimm werden konnte, scheint er sich an diese Erinnerung an eine Busreise nach Oak Ridge zu klammern, als wäre es möglich, hier sein Leben wieder aufzunehmen. Er war mit dem Bus nach Süden gefahren, hatte einen Aufenthalt in Oak Ridge gemacht und eine Klassenkameradin aus der Realschule getroffen, die dort lebte; auch sie jetzt verheiratet. Hatte er eine Absicht?
    Sicher, er war weit gereist; sonst wäre er nicht so weit gereist.
    Sie weint im nächtlichen Dunkel am Bus, als er weiterfährt. Sie küssen sich, als wäre es möglich. Das ist es nicht. Aber eingeschlossen in das spätere Dunkel, ruft er sie verzweifelt an, es ist der Herbst 1989, plant die Wiederaufnahme eines anderen Lebens. Als könnte er von vorn beginnen, und korrigieren, und sich hinausbegeben, On the Road, mit dem Startpunkt in den Südstaaten. Sein Leben wiederaufnehmen, und gerettet sein.
    An die zehn Gespräche im November 1989. Die Stimme am Telefon weit weg, in jeder Hinsicht, sie schien verwirrt.
    Was ist seine Erinnerung in diesem Herbst 1989 an den Marsch von 1966? Dass er nicht dorthin gehörte. Dass es heiß war. Dass er einen Roman über die Auslieferung der Balten schreiben wollte.

Über die Auslieferung der Balten war alles geschrieben, und nichts.
    Es handelt sich um die Auslieferung von – zuletzt, nachdem einige geflohen sind und einer sich verstümmelt hat, indem er sich einen Bleistift ins Auge stieß, und einer sich die Kehle durchgeschnitten hat – hundertsechsundvierzig baltischen Legionären, die in der Waffen-SS gedient hatten und in Schweden interniert waren. Sie waren bei Kriegsende als Flüchtlinge nach Schweden gelangt und werden jetzt ausgeliefert, trotz einer stark zu ihren Gunsten intervenierenden öffentlichen Meinung. Die Baltenauslieferung teilt Schweden in zwei Lager und bedeutet für das Land auch den Beginn des Kalten Krieges. Vor der Baltenauslieferung retteten die sowjetischen Genossen uns vor den deutschen Horden , nach der Auslieferung ist die Sowjetunion ein Mörderstaat ohne Recht und Gesetz .
    Man ist nämlich der Auffassung, dass die schwedische Regierung die Legionäre in einen sicheren Tod geschickt hat.
    Ein Schandfleck, der seine Brisanz nicht verloren hat, und ein schwedisches Trauma. Aber was eigentlich geschah, während der Zeit in Schweden und später in der Sowjetunion, und wie der politische Prozess ablief, das weiß niemand.
    Er beschließt, es herauszufinden.
    Im nachhinein erscheint es als selbstverständlich, dass das Buch geschrieben werden musste.
    Aber er ist derjenige, der es tut.
    Die Form ist nicht selbstverständlich, daher das Getöse, das Beben, auf jeden Fall der Aufstand, als das Buch erscheint. Der Roman heißt Die Ausgelieferten , sein Autor wird fortan für lange Zeit beurteilt, als wäre dieser Roman eine Linse: durch sie betrachtet ist er entweder der Schöpfer eines dokumentarischen Meisterwerks, oder ein Schwein.
    Ein heftig umstrittenes Buch und ein furchtbarer Roman.
    Das Wort furchtbar findet er in einem langen Brief, den der ehemalige Finanzminister Ernst Wigforss schrieb, nachdem er das Buch gelesen hatte. »Der Untersucher«– so lautete die Bezeichnung des Erzählers im Buch, der ohne Zweifel auch Per Olov Enquist hätte genannt werden können – hatte im Sommer 1967 mit dem inzwischen achtzigjährigen Wigforss, einer sozialdemokratischen intellektuellen Ikone, die er sehr bewunderte, einen langen Tag in Vejbystrand im Gespräch über die Auslieferung verbracht.
    Wigforss ist sehr dünn, freundlich, glasklar, hält die gesprungene Kaffeetasse mit ruhiger Hand; er gilt als sehr sparsam und wirft gesprungenes Porzellan nicht weg. Jetzt ist er bedrückt vor ihrem Gespräch, ihm liegt daran zu erklären, warum er damals handelte, wie er gehandelt hat, und wie er auch nachher noch ununterbrochen gegrübelt und vielleicht schlaflose Nächte damit verbracht hat, wie es ihm aber am Ende gelungen ist, die Geschichte zu verdrängen; wie es kam, dass er, zusammen mit Außenminister Östen Undén und

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