Ein anderes Leben
selbst aktiv, und ich habe begriffen, dass du nicht ganz so verdammt beschränkt warst wie alle anderen schwedischen Autoren.
War also die Leidenschaft des Sportidioten plötzlich eine Qualität? Und dabei hatte er sich so geniert.
Es gibt jedoch, entdeckt er bald, ein Problem im Verhältnis der Sozialdemokratie und der Intellektuellen zueinander.
Eigentlich gar nicht so sonderbar, gleichzeitig sehr bemerkenswert. Fasste man Schweden als einen von Betonköpfen und schwerfälligen Bonzen gelenkten sozialdemokratischen Einparteienstaat auf, war es vielleicht schmerzhaft für das intellektuelle Selbstbild, sich mit diesem Machtapparat zu identifizieren. Als Handlanger der Macht. Eigentlich ein bisschen peinlich und nicht besonders spaßig, Arschlecker der Macht zu sein. Dann lieber Kommunist.
Selbstkritik war im übrigen nicht die stärkste Seite der Bewegung, wurde gern mit Illoyalität verwechselt. Vom Parteibuch gar nicht zu reden! Man wollte doch frei sein! Ein freier Intellektueller ist kein Parteimitglied, völlig undenkbar. Im übrigen war es ja erwiesen, dass es der Sozialdemokratie an Visionen mangelte. Vielfach erwiesen.
Was das bedeutete, blieb unklar. Aber es konnte nicht nur, es musste immer gesagt werden. Kein Diskussionsbeitrag über die Sozis ohne die Erwähnung ihres Mangels an Visionen.
Auch ihm wird in diesen sechziger Jahren, auf dem Sprung von der Erweckungsbewegung über den Kulturradikalismus zur Sozialdemokratie, in bezug auf die Frage, warum der Sozialdemokratie die Visionen fehlen, eine Analyse abverlangt.
Verzweifelt und unfähig zu antworten, greift er da zu einem Gleichnis, das nur unbedeutend rätselhafter ist als die des Erlösers Jesus Christus. ›Mit der Sozialdemokratie, sagte er da zu seinen Jüngern, ist es wie mit der Hefe und dem Teig. Die Hefe ist der Sozialismus, der Teig ist der Markt. Diejenigen, die vom Brot essen wollen, wissen, dass die Hefe für sich allein ungenießbar ist, seht nur auf die Sowjetunion, wie die Völker dort unter der ungenießbaren Hefe Kommunismus zu leiden haben. Auch der Teig allein ist ganz und gar unbekömmlich. Ist nicht der amerikanische Kapitalismus dafür ein Beispiel? Die Ärmsten dürfen nur den Teig essen. Nur eine passende Menge von der Hefe in diesem Teig lassen ihn gären und zu einem guten und essbaren Brot werden. So ist es mit der Sozialdemokratie.‹
Das Gleichnis eigentlich nicht schlecht.
Nicht weil es das ultimative Bild der Sozialdemokratie liefert, sondern weil es intellektuelle Vorstellungen von der Bewegung gestaltet. Ideologien sollten tatsächlich schärfere Konturen haben! Hefe und Teig und Gärung! Unklar! Unstringent! Unbegreiflicherweise war die Sozialdemokratie als soziales Experiment jedoch ungemein erfolgreich, vielleicht das einzig Praktische, das einzige, was funktionierte.
Aber theoretisch gesehen eindeutig verwerflich. Fiel bei jeder scharfsichtigen intellektuellen Analyse in sich zusammen. Teigig. Etwas sowohl Undeutliches als auch Unklares in einer Art Mitte.
Dann lieber die unbestreitbare Deutlichkeit des Kommunismus. Die dramatischen Bilder, die unerbittliche Konsequenz, die fürs Omelett zerschlagenen Eier und die Einsicht, dass dies kein Teekränzchen war. Alles unerhört verlockend, es massierte die ideologischen erogenen Zonen der Intellektuellen und kam auf jeden Fall nicht, ja, eben teigig daher.
Es war kein Spaß, bekennender Sozi zu sein. Die sozialdemokratische Gemeinde war außerdem misstrauisch gegenüber Dichternaturen. Es gab in der Sozialdemokratie einen grundlegenden Argwohn gegen Schriftsteller und Künstler: man konnte ihnen nie trauen . In dem Moment, in dem man sie umarmte, bekam man einen Tritt in die Eier. Tat weh! Und war schwer zu vergessen. Sie wirkten unbeständig, erklärten, radikale Werte zu vertreten, ließen aber jede Zuverlässigkeit vermissen und hatten meistens Berufe, die artfremd erschienen: Spielmann im Wasserfall! Der Nöck! Geigespielender Zigeuner!
Dies alles konnte man als Kuriosa betrachten. Aber die Schriftsteller, hatte man zutreffend bemerkt, tendierten auch dazu, sich schnell über ihre Klasse erheben zu wollen, ihre Zugehörigkeit hinter sich zu lassen und verächtlich oder herablassend auf diejenigen zu blicken, die zurückblieben. Der Traum von radikaler Deutlichkeit, also kein langsam aufgehender Teig, trieb sie oft nach links, wo sie dann saßen und sauertöpfisch die üblichen Klagen anstimmten, also über den Mangel an Visionen bei den Sozis.
In der
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