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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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gesellschaftlichen Debatte teilnehmen zu können, ohne sich in die Standpunkte, die kritisiert werden, hineinzuversetzen. Ich frage mich schon zuweilen, wie diese Modebewegung sich so hat ausbreiten können. Offenbar betrachtet sich ein Teil der jungen Autoren als Allround-Spezialisten für alle möglichen gesellschaftlichen Probleme.‹
    Seine Mutter erfährt nichts von dem, was Ohlin meint. Es hätte sie traurig gemacht.
    Aber die ideologischen Wurzeln bei ihm selbst, in diesen Jahren am Schnittpunkt von Sprache und Moral, sind auf merkwürdige Weise verschlungen.
    Etwas an Ohlins irritierten Bemerkungen über das plötzliche Einbrechen der Amateure in die öffentliche politische Debatte – diese Modebewegung – ist ein Zeichen für eine Veränderung in der Zeit.
    Er selbst hätte dieses kleine liberale Scharmützel, das sich teilweise auf dem Terrain seiner eigenen halb verborgenen liberalen Zugehörigkeit abspielte, sicher auch vergessen, wenn es sich nicht um einen Vorboten gehandelt hätte. Um den Auftakt zu einem drei Jahrzehnte währenden, immer stärkeren politischen Engagement seinerseits. Der Streit schafft auch den ersten Kontakt zu Olof Palme, der ihm schreibt und sich bedankt. Er war Teilnehmer der Diskussion im Fernsehen gewesen, hatte Wedéns unvorsichtige Ausgrenzung der Jungliberalen sogleich bemerkt und sich noch während der Sendung dazu äußern wollen, war aber daran gehindert worden. Jetzt war es dennoch öffentlich gemacht worden, was ihn freut, kein Wunder.
    Palme fügt auch eine Mitschrift seiner Rede beim Kongress der Bruderschaftsbewegung in Gävle im Juli 1965 bei. Es ist die Rede über Vietnam, aber vor allem eine Rede, die das Eindringen der Dritten Welt in die schwedische Innenpolitik markiert. Vielleicht will er, selbst auch irritiert, unterstreichen, dass er sich in dieser Frage nicht nur früh, sondern auch deutlich geäußert hat. Palmes Rede in Gävle ist sicher die wichtigste programmatische Rede der Nachkriegszeit in Schweden.
    Im Juli 1965 bezieht Palme beinahe brutal deutlich Stellung für den vietnamesischen Befreiungskampf. Es sind nur noch vier Jahre, bis er sozialdemokratischer Parteivorsitzender und Ministerpräsident wird; jetzt formuliert er die ideologischen Trennlinien, die das folgende Jahrzehnt dominieren werden.
    Und, also: Die Dritte Welt tritt hier in die schwedische Innenpolitik ein.
    Wer ist denn eigentlich ›dieser Enekvist‹?
    Der Kulturradikalismus in der schwedischen öffentlichen Debatte wechselt um die Mitte der sechziger Jahre die politische Zugehörigkeit. Eigentlich ist dieser Enekvist selbst ein Teil des Vorgangs, versteht es aber kaum. Olof Palme beraubt die bis dahin so lobenswert aktiven und erfolgreichen Jungliberalen (Nestius, Tham, Tarschys, Wästberg, Eva Moberg und viele andere) ihres kulturradikalen Themenkatalogs. Der Kulturradikalismus, der in der dänischen Politik so stark dominierte, und den er in seinen fünfzehn Jahren in Dänemark soviel besser kennenlernen sollte, war als Theorie in Schweden fast überhaupt nicht existent, in der Praxis jedoch äußerst lebendig. Also die Dritte Welt, Afrika, Vietnam, die Kulturpolitik, die Sexualpolitik, der Feminismus und so weiter.
    Olof Palme klaute das alles.
    Die liberalen Kulturradikalen ziehen sich da bedröppelt zurück, legen sich, eigentümlicherweise schweigend und ohne zu protestieren, auf den Abfallhaufen der Geschichte, weil ihre Ideen gesiegt haben. Doch nicht innerhalb des Liberalismus.
    So kann es gehen.
    Der Dankesbrief von Palme war der erste in einer Briefkorrespondenz, die sich, sporadisch und zu vielen verschiedenen Themen, über lange Jahre hin erstrecken sollte.
    Einige Jahre später ruft Palme an und fragt, ob er in dem Kulturrådet genannten Komitee mitarbeiten möchte, das eine grundlegende Inventur der schwedischen Kulturpolitik vornehmen soll und tatsächlich die Voraussetzung schafft für die große – und kulturradikale! – Reform von 1974, die fast unverändert bis ins nächste Jahrtausend dominieren sollte.
    Er fühlt sich geschmeichelt und sagt ja. Vielleicht doch in gewisser Weise verwundert. Warum dieses kulturpolitische Vertrauen gerade in ihn?
    An einem späten Abend einige Jahre später, nach einigen Gläsern Wein, fragt er neugierig Olof Palme, warum dieser gerade ihn für das Komitee ausgesucht hat. Palme blickt ihn kalt an und antwortet: Ich hatte einen Essay von dir in Ord och Bild gelesen, in dem du über Sport geschrieben hast, und du warst ja auch

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