Ein anderes Leben
Hut und starrt ihn feindlich an, als befänden sie sich noch in den Turbulenzen der Kejne-Affäre und ein weiterer Piranha wolle sich in seine Kehle verbeißen, und schon nach wenigen Minuten macht der Besucher einen furchtbaren Fehler.
Er spricht Quensel mit Sie an.
Quensel beugt sich daraufhin vor und zischt mit zusammengepressten Lippen: Man nennt mich nicht Sie! Es kommt so plötzlich, dass der Untersucher völlig die Fassung verliert Entschuldigung, ich verstehe nicht … und Quensel mit der gleichen zischenden wütenden Stimme: Man siezt mich nicht!!! Daraufhin ein hilfloses Entschuldigung, was soll ich … und wieder das gleiche Zischen Mein Titel ist Präsident, ich bin Präsident der Rechnungskammer , und für einige Sekunden ist die Verwirrung total. Präsident?
Er überlegt in Panik, wie er sich diesen Titel merken soll, er ist nicht so üblich, nicht in Schweden. Präsident Quensel? Wie soll er daran denken, aber plötzlich denkt er an Präsident de Gaulle .
Jetzt hat er es. Und fährt erleichtert fort.
Es ist ein merkwürdiges Gespräch.
Die schwere lederbezogene Atmosphäre ist fast betäubend, aber auch die Geschichte, die Geschichten aus den fünfziger Jahren, und nicht zuletzt der Mann ihm gegenüber, der vor einigen Jahrzehnten in dem, was man später Medientreibjagd nennen sollte, unablässig sein Ansehen verloren hatte . Jetzt sitzt dieser mythische Quensel vor ihm, nicht mehr auf der Hut, eher eingesunken, das zischende Hasserfüllte versickert langsam, er wird weich. Er verteidigt nicht mehr das verlorene Ansehen, das er in einer verzweifelten Selbstbehauptungsoperation mit dem Titel Präsident überdecken wollte. Der junge Autor vor ihm sieht auch nicht aus, als hätte er Angst, weder vor dem Titel noch davor, Hiebe zu bekommen, aber er ist auch nicht insinuant, ist nicht auf der Jagd nach Quensel; schließlich unterhalten sie sich über drei Stunden lang, ruhig, sachlich, und nennen sich nicht Sie , aber auch nicht Präsident .
›Und am Ende meldete ich mich zu Wort und sagte: Wir werden Blut an den Händen haben! Blut an den Händen!‹
Es gab einen psychischen Widerstand dagegen, dass er in diesen Dingen grub, überall.
Im Herbst 1968, einige Monate nach Erscheinen des Buchs, schreibt Tage Erlander ihm: ›Du erinnerst Dich vielleicht, dass ich Dir abriet, als Du mich aufgesucht hast und wir über Deine Pläne diskutierten, einen Roman über die Baltenauslieferung zu schreiben. Es war eine Episode in einem Kriegsverlauf, in dem sich Millionen von Tragödien abgespielt hatten, und ich stellte mir vor, dass es nichts von Gewicht mehr gäbe, was sich einer Durchsicht der Baltenauslieferung noch abgewinnen ließe.‹ Und er fügt im nächsten Satz hinzu, dass er jetzt ›diese Meinung völlig geändert‹ habe.
Ja, Erlander ist skeptisch, erklärt sich aber schließlich bereit. Bertil Ohlin, der ja nicht direkt beteiligt ist, aber sicher wertvolle Kommentare haben würde, sagt am Telefon verbissen Nein! Mit der Begründung, keinerlei Vertrauen zu diesem Enekvist zu haben – was dieser angesichts der Vorgeschichte ja versteht –, aber verblüffenderweise führt er als einzigen Grund an, dieser habe in einer Besprechung von Alkestis auf der Bühne des Dramaten eine dermaßen politisierte Interpretation dieses Klassikers vertreten, dass er jede Zusammenarbeit ablehne.
Er liest seine Rezension noch einmal, ist verwirrt, aber froh darüber, dass ein Politiker sich fürs Theater engagiert, und denkt wieder einmal an die Liebe seiner Mutter zu Bertil Ohlin.
Erlander, dieser legendäre schwedische Ministerpräsident, gibt einige Jahre später einen Kommentar ab, den er nicht richtig versteht.
In den Ausgelieferten gibt es ein langes Kapitel über die schwedische Flüchtlingspolitik in den dreißiger Jahren und bis zur Mitte der vierziger Jahre; es ist keine schöne Geschichte. Erlander sagt, wie im Vorübergehen, Ja, ich bin ja dankbar dafür, dass du im Buch schonend mit mir umgehst und nicht erwähnst, dass ich Möllers Staatssekretär war .
Schonend?
Er ist verwundert. Bewusst schonend ist er ganz sicher nicht gewesen. Dass Gustav Möller als Sozialminister in vieler Hinsicht der Hauptverantwortliche war für die geltende Flüchtlingspolitik, ist ja eine Sache. Aber der Staatssekretär Erlander? Erst viele Jahre später verliert Enquist einen Teil seiner Unwissenheit und versteht, was Erlander mit der kleinen Bemerkung gemeint hat. Seine dritte Ehefrau Gunilla ist sechs Jahre
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