Ein anderes Leben
Staatssekretärin im Kultusministerium; er lernt da, wie die Bedingungen für diese nach außen ziemlich geschützte, nach innen aber zentrale Machtposition aussehen.
Der Staatssekretär im Sozialministerium hatte wohl eine größere Verantwortung für die Einwanderungspolitik, als er begriffen hatte.
Überhaupt lernt er vieles, nicht nur über das politische Spiel, sondern auch über die Mechanismen einer politischen Krise. Aber je mehr die Monate vergehen, desto stärker bekommt er das Gefühl, dass es für alles jetzt höchste Zeit ist. Die Archive sind ja immer da, sie sterben nicht, und in seiner Zeit in der Universitätsbibliothek Carolina Rediviva hat er gelernt, mit ihnen umzugehen. Aber die Menschen?
Er hat ein Gefühl, als säße ihm der Tod im Nacken. Die meisten, die dabei waren, werden alt. Sie werden bald sterben, spürt er, oder ihr Geist wird sich verdunkeln, oder sie treten in die Gleichgültigkeit ein, oder vergessen ganz einfach. Um ihn her dröhnt die Vietnam-Debatte immer erregter, aber er ist von seiner Expedition mit Beschlag belegt. Ohlins scharfes Fazit, dass Enekvist gewiss nicht der einzige unter den jungen Schriftstellern ist, die ohne eine Spur von Zweifel glauben, an der gesellschaftlichen Debatte teilnehmen zu können, ohne sich in die Standpunkte, die kritisiert werden, hineinzuversetzen, findet er ohne Zweifel bedenkenswert.
Aber ist es eine Modebewegung?
Er lernt, dass politische Romane, wie die Demokratie, Reibung bedeuten. Beides braucht Zeit, Arbeit. Aber er lernt auch, dass sehr vieles im politischen Entscheidungsprozess auf Zufälligkeiten beruht. Vielleicht auch Nachlässigkeit. Außenminister Christian Günther sollte bei der entscheidenden Beschlussfassung der Referent sein; er war im Urlaub in Dalarna. Die Beschlussvorlage wurde schlecht vorbereitet. Per Albin Hansson, das zeigte das mit Geheimhaltung belegte Material aus dem Außenministerium, das er sichtete, als es in den achtziger Jahren freigegeben wurde, war in weit stärkerem Maß, als man gewusst hatte, persönlich für den Auslieferungsbeschluss verantwortlich: Er setzte nicht nur die positive Antwort an die Sowjetunion durch (auf deren verschwommene Anfrage, wie Schweden mit den Militärflüchtlingen zu verfahren gedächte ) – er diktierte auch persönlich den Passus, der den Sowjets in weit größerem Umfang entgegenkam, als es aufgrund ihrer Anfrage nötig gewesen wäre. Gleichsam mit einer ausholenden Geste wurden nicht nur die einbezogen, die nach der Unterzeichnung der deutschen militärischen Kapitulation am 8. Mai 1945 von der Front geflohen waren, sondern auch die, die vorher geflohen waren.
Ohne diese Ausweitung wäre es nie zur Tragödie der Baltenauslieferung gekommen, weil alle Flüchtlinge früher eingetroffen waren.
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Kein Wunder, dass sie ihn mit Misstrauen betrachteten, vielleicht mit Angst. Was hatte er vor? Eine Gerichtsverhandlung um ein verjährtes Verbrechen? Seine unschuldsvolle Rücksichtslosigkeit machte die Sache nicht weniger beunruhigend.
Manche Zeugen verloschen, während er schrieb.
Eigentümlicherweise wurde in der Öffentlichkeit die Schuld weder Ernst Wigforss noch Per Albin Hansson aufgebürdet, sondern Östen Undén. Er ist bei ihrer Begegnung sehr alt, sehr müde, aber kristallklar. Er hatte ein Dilemma geerbt, weil er nicht in der Koalitionsregierung saß, die den ursprünglichen Beschluss fasste, und hatte lange gegen die Auslieferung gekämpft, sich aber gefügt.
Im Urteil der Geschichte sollte er als Architekt der Auslieferung dastehen.
In der dunklen Wohnung hoch oben im sogenannten Erlanderhaus in Marienberg – dem Untersucher kommt es in der Erinnerung seltsamerweise so vor, als habe sich die ganze Reihe von Politikern stets in sehr dunklen Zimmern befunden, und in großer Todesnähe – hatte der ehemalige Außenminister sehr deutlich, aber ohne Hoffnung darüber gesprochen, von der Geschichte verstanden zu werden. In der Tür, als das Gespräch beendet war, hatte Undén gleichsam zögernd gesagt Ich habe eine ziemlich genaue Tagebuchaufzeichnung über diese Auslieferung, die würde wohl klarstellen … und er hatte daraufhin gefragt Darf ich sie lesen? Aber der Alte hatte nur mit noch nicht ganz erblindeten Augen am Untersucher vorbeigesehen und gewartet und überlegt und dann gemurmelt Ich werde darüber nachdenken, ich weiß nicht, ich rufe an, falls … und dann hatte er nichts mehr gesagt, und das Gespräch war vorüber.
So fing es an. Für ihn selbst
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