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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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ursprünglich in den vierziger Jahren in der Sportwelt von Västerbotten begonnen hatte, aber jetzt von Berlin und der Jugendrevolte aus betrachtet wurde. Ein zweiter Ausgangspunkt war der Sohn des Hammerwerfers, Christian, der die Geschichte erzählt; er war schwerer und zugleich leichter zu identifizieren.
    Was dachte er über dieses Berlin? Wie verhielt er sich zu dem Funken, der vielleicht einen Präriebrand entzünden würde? Verstand er überhaupt die unerhörte Kraft, die der Ungehorsam unter diesen jungen Menschen in der hierarchischen Welt in Berlin hatte?
    Oder hatte das Liebsein sich in ihn eingegraben, wie ein Krebs, so dass er den Schmutz des Lebens nie würde verstehen können?
    *
    Widerwillig lebt er sich in das eigentliche Denken ein. Die Provokationen sollen das wahre und hässliche Gesicht des Unterdrückerstaates zum Vorschein bringen. Allerdings bemerkt er, dass das Volk, zum Beispiel die deutsche Arbeiterklasse, nicht mitmachte. Sie saß im Schneetreiben im Olympiastadion. Er selbst blieb in der Evangelischen Vaterländischen Stiftung, bei Rosenius, dem Sternenhimmel und der Himmelsharfe.
    Er glaubt, im Zentrum zu sein.
    Im Zentrum sieht man selten klar. Es kann dennoch nützlich sein, sich darin befunden zu haben. Denn auch wenn Berlin nicht das Zentrum der Geschichte war, es fühlte sich so an: Er war vielleicht der falsche Mann, aber am richtigen Platz. Die Provinz dem Zentrum aufgepfropft; und dann das Gefühl von Unsicherheit und nervöser Gegenwart in einer eingeschlossenen Stadt, die er nicht verstand, und in der er ein Buch über einen mogelnden Hammerwerfer aus Västerbotten in den vierziger Jahren schreiben wollte.
    Als er fertig ist, wagt er kaum, das Buch durchzulesen.
    Er findet im Roman eine von Verletztheit und Gekränktheit zeugende Aggressivität, das Buch ist von einem jungen provinziellen Schriftsteller geschrieben, der praktisch in die Mitte des europäischen Aufruhrs hineingestellt wurde. Sein Name im Roman ist Christian Lindner. Er findet diesen oft ideologisch unklar und anpassungsbereit, rücksichtslos aufrichtig, zuweilen zynisch und zuweilen vorsätzlich naiv, man muss schreiben, wie es sein sollte , ein junger Mensch mit vielen Gesichtern, der sich noch nicht entschieden hat.
    Er mag ihn aber, wie er war , ein Lackmuspapier, in den europäischen Wahnsinn eingetaucht, und weiß, dass er undenkbar wäre ohne Westberlin.

In einem so weit vom Zentrum entfernten Landesteil wie Västerbotten hatte der Sport ja eine besondere Bedeutung.
    Die lokalen Sporthelden wuchsen an Größe, wenn das richtige Leben sich da unten in Schweden abzuspielen schien. Und die Ungerechtigkeit des Zentrums der Provinz – also uns – gegenüber schürte Wut und lebenslangen Hass.
    Hass? Er übertreibt, aber nicht sehr.
    Kleine Ungerechtigkeiten fraßen sich fest. Die Tatsache zum Beispiel, dass die letzte Stufe des Ligasystems im Fußball für Norrland nicht zugänglich war – die Vereine aus Norrland konnten höchstens in die zweite Liga aufsteigen, nie in die erste Liga Allsvenskan –, schuf ein nagendes Gefühl, benachteiligt zu sein. Eine strukturelle Ungerechtigkeit, am sichtbarsten auf dem Gebiet, das am meisten bedeutete, dem des Sports. Das sogenannte Norrlandfenster wurde erst in den fünfziger Jahren geöffnet. Es war eine Schweinerei, schwer zu verzeihen.
    Um so größere Ehre denen, die trotz der Böswilligkeit des Zentrums erfolgreich waren. Die Skiläufer! Die Nordahls! Aber nicht nur sie.
    In der Leichtathletik und im Fußball war die Länsmannschaft das höchste Niveau, das man erreichen konnte, aber einige schafften es, darüber hinaus zu gelangen. Der mogelnde Hammerwerfer – ein rechtschaffener Arbeiterjunge, der für uns antrat – war ein Idol. Er schaffte es in die Nationalmannschaft, durfte bei der Europameisterschaft antreten, stellte auf der nationalen Ebene Rekorde auf. Er zeigte, dass es möglich war, Erfolg zu haben, den Intrigen und miesen Tricks der Stockholmer zum Trotz.
    Und dann fiel das Idol. Es war schmerzhaft, er würde sich immer an den Tag erinnern, als es im Norran stand, der ›freisinnigen Länszeitung‹, und sich nicht wegerklären ließ .
    So war es wohl mit den tiefsten Wurzelfäden dieses Romans: sie verflochten sich mit denen, die an der Oberfläche lagen. Am Ende ließ es sich nicht mehr entflechten. Nach der enormen Aufregung der ersten Zeit um den Sekundanten warf einer, der darüber schrieb, eine Frage auf; es war Artur Lundkvist, er hatte

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