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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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superempfindlich, nehme mir alles zu Herzen, grabe mich ein, will beliebt sein und scheiße gleichzeitig darauf, nehme jeden Widerspruch als Zeichen dafür, dass alle mich hassen, bin paranoid. Zwei Stürme nacheinander, Die Ausgelieferten und Der Sekundant , waren ein bisschen viel auf einmal.
    Die Berufskrankheiten der Schriftsteller. Die Trägheit, die Paranoia und der Alkohol. Tranken gestern pro Mann eine Flasche Rotwein. Die Frage ist: Wenn man sich selbst eine Tagesration von einer Flasche Rotwein zuteilt, kann man dann dabei bleiben oder begründet man damit nur einen tiefergehenden Alkoholismus, der früher oder später explodiert?
    Ich weiß nicht, ob ich überhaupt zu irgendetwas in der Lage bin. Wo ist er hin, dieser verfluchte Motor, der mich durch die sechziger Jahre und durch die Ausgelieferten und den Sekundanten getrieben hat? (War er nicht damals schon fast am Ende?) Diese geballte Wut, die Revanchelust und Kraft – auf jeden Fall gab es da etwas. Und jetzt nur diese zermürbende, leere, sinnlose Neurose.
    Ich muss wirklich etwas an mir tun.
    Habe gestern abend ferngesehen. Wieder. Las ein wenig in Manuskripten für Norstedts. Darf nicht vergessen, vor Freitag die Versicherung zu bezahlen (schaffe ich es wirklich, weiterhin 15 000 pro Jahr zusammenzubekommen?). Schlief schlecht und wachte zu früh auf. M tief in einer Depression, will nicht wach werden, nur schlafen, schlafen, will eigentlich nicht leben. Ich frage mich, ob es nur ihre Arbeit ist – das Gefühl absoluter Leere, von grauer Wand, von Fremdheit. Sie meint, niemandem etwas zu bedeuten. Und ich komme damit nicht zurecht, dabei sollte ich ihr helfen.
    Kam spät los zum Arbeitszimmer, jetzt ist es zehn Uhr. Werde wohl Gutachten für Norst. schreiben. Muss die Arbeitsdisziplin aufrechterhalten. Ich kann nur mich selbst verantwortlich machen. Ich habe verdammt viel zu sagen, sage ich mir, es gibt nur einen, der verantwortlich ist, ich selbst. Morgen Radioausschuss Stockholm.
    So vergehen die Tage.
    Die Aufzeichnungen ähneln sich. Die Sitzungen im Radioausschuss, der darüber wachen soll, ob Radio- und Fernsehprogramme sich an die Vereinbarung über Sachlichkeit und Unparteilichkeit halten: in dieser Zeit ist der Radioausschuss, in dem er jetzt ständiges Mitglied ist, eine zentrale Konfliktarena, in der stets zermürbende ideologische Kämpfe ausgetragen werden. Jeder Beschluss wird in den Medien aufgegriffen, besonders die inkriminierten Kinderprogramme, deren flüsternder politisch linker Subtext viele in Rage versetzt. Er tut, was von ihm erwartet wird, um die Vielfalt zu verteidigen. Es wird als nicht ausreichend angesehen. Er verliert einige Freunde.
    Aufzeichnungen über Konflikte zu Hause, Rotwein, der Junge leidet darunter.
    Am 15. Januar: Es ist herzzerreißend, seine Versuche zu sehen, uns zusammenzuhalten. Er ist früh aufgestanden, hat Frühstück gemacht, vermittelt, war lieb. Wir verdienen den Jungen nicht.
    Er fährt sich bei allem fest. Was soll er mit diesen Erfolgen. Er beginnt, einen Roman über die schwedische Auswanderung nach Argentinien zu schreiben. Vorhersagbar und sauschlecht. Er beschließt, nach Misiones im nördlichen Argentinien zu reisen. Er kann nicht schreiben. Was kann er eigentlich?
    Im Frühjahr neuer Beschluss: Er wird auf gar keinen Fall eine halbjährige Forschungsreise nach Argentinien machen, noch nicht. Im Gegenteil: Nach München fahren und ein Reportagebuch über die Olympischen Spiele 1972 schreiben.
    Er ist nicht unschuldsvoll.
    Er weiß, dass er sich auf ein wohl bekanntes, aber dennoch irgendwie feindliches Territorium begibt, ein Quereinsteiger aus dem Kultursektor, der sich jetzt in der wirklichen Arbeit bewähren soll, und auf einem von anderen gut markierten Revier. Er nimmt sich Zeit, fährt einige Wochen vorher nach München, liest sich sorgfältig ein. Er soll auch regelmäßige Kolumnen für Expressen schreiben, die Zeitung, bei der er sonst auf der Kulturseite mitwirkt; plötzlich macht es ihm Spaß, er ist frei von Verantwortung, es ist wie ein Jungentraum. Vor dreizehn Jahren, 1959, war er aktiv gewesen, im Hochsprung, bei der Universiade in Turin, der Generalprobe für die Olympischen Spiele in Rom 1960. Er hatte gehofft, sich für Rom zu qualifizieren. Wäre er nur 2,03 gesprungen! Aber nein.
    Nie hätte er sich vorstellen können, damals, wie Olympische Spiele waren.
    Jetzt ist er akkreditiert, kann sich frei bewegen, hat freie Hand und mit dem Sekundanten einen Hintergrund,

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