Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
an zu erzählen:
Das, was hier schwarz ist, kommt von Selbstmordattentätern, letzten Monat. Die standen genau hier davor, haben sich auf ihre Fahrräder gesetzt, vom Leben verabschiedet und sind dann vollbepackt mit Sprengstoff gegen die Mauer gefahren.
Die Mauer ist aus Stahl und Beton. Mehrere Schichten. Da geht nichts durch.
Hauptfeldwebel Kevin beschreibt diesen Vorgang ziemlich herzlos und ohne jegliche Emotion. Aber vielleicht muss man das so machen, um nicht bekloppt zu werden und um nicht immerzu daran denken zu müssen, dass das hier Realität ist und dass sich hier zu jeder Zeit und an jedem Ort ein Mensch mit Sprengstoff in die Luft jagen kann. Wenn man davon zu Hause in den Nachrichten hört, dann ist das weit weg. Jetzt stehe ich fünf Meter vor so einem Fleck, wo ein Mensch sich an einer Mauer vor Kurzem selbst in die Luft gesprengt hat.
In diesem Moment gehen mir die Worte des Hauptfeldwebels zwar ins Ohr, werden vom Gehirn aber nicht verarbeitet. Wie eine Postkarte, die man abschickt, die aber nie ankommt. Hier ist eine Grenze der normalen Wahrnehmung für mich erreicht. Dass solche Dinge wirklich passieren und nicht einfach nur Bilder sind, die man in der Tagesschau oder anderswo zu sehen bekommt – das geht für mich in diesem Moment nicht zusammen.
Wir müssen jetzt hier weg. Der Weg muss frei gemacht werden, sagt Kevin. Und übergibt uns an die Pressesoldaten, die schon darauf warten, uns in Empfang zu nehmen.
Der Hauptfeldwebel Kevin und ich geben uns die Hand. Dann sehe ich ihn seine Leute sammeln, in sein Panzerfahrzeug steigen und abfahren. Erst als sie losgefahren sind, bemerke ich, dass ich meine Aktentasche im Auto habe liegen lassen. Verdammt, denke ich. In der Tasche sind meine sämtlichen Skripte, die ich für die Auftritte und die Dreharbeiten brauche. Ich will schnell hinterherlaufen, darf aber nicht. Wir müssen sofort durch die Schleuse in die Kaserne hinein. Man wird versuchen, den Hauptfeldwebel zu verständigen, um ihm zu sagen, dass er auf seinem nächsten Transport die Tasche mitbringen soll. Ich gehe derweil durch eine Drehtür aus Eisen. Das ist wie im Schwimmbad, nur ohne Schwimmbecken und ohne Eintritt. Und anstelle eines Bademeisters werden wir von einer Einheit mazedonischer Soldaten zusammengestaucht, weil wir unser Gepäck nicht schnell genug weglegen. Wir müssen alles an den Rand einer Mauer packen, und dann kommen zwei Soldaten mit einem Sprengstoffhund und überprüfen unser Gepäck.
Der Sprengstoffhund sieht irgendwie aus wie der Kragen von Peters Jacke, die er in Mazar-e Sharif zurückgelassen hat, denke ich, und diese Jacke schnüffelt jetzt an unseren Taschen.
Wir dürfen unsere Sachen wieder aufnehmen und uns in Marsch setzen. Der Eingangsbereich ist angelegt wie ein Irrgarten, überall sind eiserne Drehtüren und Mauern und Stacheldraht.
Ich erwähne noch einmal, dass ich meine wichtigste Tasche eben vergessen habe, aber es scheint keinen außer mich sonderlich zu interessieren. Mir scheint, wir laufen im Kreis.
Fregattenkapitän Roland erzählt uns, dass die Wege durch den Eingangsbereich nach jeder Wachschicht aus Sicherheitsgründen geändert werden.
Nach einer Weile haben wir es dann geschafft. Wir werden ein letztes Mal von den Wachen gemustert und betreten dann das Headquarter. Eigentlich ist das Headquarter ein Containerdorf, das um ein paar frei stehende Häuser herumgebaut worden ist. Die meisten sind ockerfarben oder weiß. Es sieht nicht sehr anders aus als in Termez. Zelte wie oft im Fernsehen sehe ich keine. Man hört das leise Rattern von Klimaanlagen. Eine Horde Soldaten marschiert an uns vorbei. Es sind Amerikaner. Sie haben das Star-Spangled-Banner auf der Schulter und sehen grimmig aus. Direkt vor uns stehen ein paar andere Soldaten. Sie tragen die deutsche Flagge auf der Schulter und winken uns freudig zu. Es ist eine Delegation unserer Gastgeber für heute, drei Männer und eine Frau. Wir werden auf eine sonnenbeschirmte Dachterrasse geführt und bekommen direkt kalte Getränke in die Hand gedrückt. Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und schaue in die Runde. Ein älterer Soldat erscheint. Er mustert uns freundlich und stellt sich als Spieß der Kompanie vor. Ich frage, was das sei, ein Spieß. Er antwortet, das sei so eine Art Mutter. Es gäbe in jeder Kompanie einen Kompaniechef und einen Spieß. Der Chef kümmere sich um die militärischen Dinge und der Spieß um die persönlichen Belange der Soldaten. Dann erklärt
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