Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Ziel für mögliche Scharfschützen zu machen. Wir werden auch nicht unnötig zu Fuß gehen, sondern stets in gepanzerten Fahrzeugen gefahren werden, um einer eventuellen Entführung zu entgehen.
Tabea erklärt uns, wie so eine Entführung abläuft: Ein Auto wird von zwei weiteren Fahrzeugen in die Zange genommen und zum Stehen gebracht. Dann steigen die bewaffneten Entführer aus und holen sich ihre Geiseln mit Waffengewalt. Wenn diese Glück haben, dann kommen sie gefesselt irgendwo in einen Keller, und jemand bezahlt für sie Lösegeld. Oder die Geisel wird als Druckmittel benutzt, um zum Beispiel Leute aus dem Gefängnis freizupressen. Im schlimmsten Fall werden sie erschossen und irgendwo als warnendes Beispiel auf der Straße abgelegt.
Wieder bemerke ich, wie schon im Sommer beim Besuch der Soldaten, diese Emotionslosigkeit des Vortrags. Krieg härtet ab. Das Sterben gehört, so bestialisch es sich auch anhört, irgendwann zum Alltag.
Wir kommen in unseren Autos nur schleppend voran. Das liegt daran, dass die Straßen in schlechtem Zustand sind, zudem voller Schneematsch und Menschen. Abgesehen davon gibt es auch keine Geschwindigkeitsbegrenzungsschilder. Christoph sagt, man habe es mal mit Ampeln versucht, aber dann wieder aufgegeben. An den ausgeschalteten Ampeln stehen jetzt wieder Verkehrspolizisten. Ihre Zeichen sind schwer zu deuten. Falls sie von deutschen Verkehrspolizisten ausgebildet worden sind, müssen diese verheerende motorische Störungen gehabt haben. Es wird gefuchtelt, abwechselnd wild und freundlich geguckt und dann gefahren, irgendwie. Wer zuerst kommt, fährt zuerst. Und wer keine Hupe hat, der hat verloren.
Es ist unsere erste längere Tour mit dem Auto durch die Stadt. Eine Stadt, die wir nicht kennen und in der überall Gefahren lauern. Trotzdem bin ich nach kürzester Zeit so abgelenkt von dem, was ich sehe und erlebe, dass die Angst, es könnte etwas passieren, in den Hintergrund tritt.
Wir fahren einen Hügel hoch. Links und rechts liegen Häuser hinter Schutzmauern, Wachhäuschen, Stacheldraht und Schützentürmen.
Wir fahren durch die Villengegend von Kabul. Im Schnitt kostet hier ein Haus um die zehntausend Dollar Miete pro Monat. Die Häuser werden meistens von hohen Militärs, Politikern oder Geschäftsleuten bewohnt.
Der Durchschnittsverdienst in Kabul schwankt zwischen hundert und sechshundert Dollar im Monat.
La Fee sitzt vorne auf dem Beifahrersitz hinter dem Einschussloch im Seitenfenster und filmt, was das Zeug hält.
Wenn man von einer Straße in eine andere abbiegt, gelangt man in regelmäßigen Abständen in eine Kontrolle. Meistens sind es private Wachdienste, die die einzelnen Straßenzüge beschützen. Aber ab und an handelt es sich auch um offizielle Kontrollpunkte der Polizei. Wenn wir eine solche Kontrolle passieren, ist das die Prozedur: unser Fahrer sagt etwas zu unserem Sicherheitschef, der Sicherheitschef sagt etwas zu Christoph, und der sagt uns, wir sollen schleunigst die Kamera runternehmen.
Blick aus dem gepanzerten Auto mit Einschussloch
Tausende von Eindrücken prasseln auf uns nieder.
Je höher wir den Berg Wazir Akbar Khan befahren, je näher wir unserem Ziel kommen, desto schöner wird der Blick auf Kabul.
Auf dem Berg Wazir Akbar Khan – die zwei Gesichter Kabuls
Das Erste, was man auf dem Gipfel des Hügels sieht, ist ein großes blaues Schwimmbad mit diversen Sprungtürmen, das einst von den Russen gebaut worden ist.
Der Ausblick vom Hügel geht um dreihundertsechzig Grad und ist so beeindruckend, dass La Fee beim Filmen zu zittern beginnt.
Das von den Russen erbaute Schwimmbad auf dem Berg Wazir Akbar Khan
Es gibt kleine Pavillons und Bänke, auf denen man sitzen und die Aussicht genießen kann. Würden nicht bewaffnete afghanische Soldaten hier entlanggehen, würde man an diesem Ort nie auf die Idee kommen, dass man sich in einem Kriegsgebiet befindet. Es ist wunderschön, und der Schnee macht es angenehm ruhig. Auf zwei abgesteckten Plätzen spielen Kinder und Jugendliche Fußball. Sie beobachten uns und winken uns freundlich zu. Wir winken zurück. Alles ist gut.
Ein kleiner Junge zupft mich am Ärmel und will, dass ich mit ihm komme. Bahram kommt dazu und erklärt mir, dass der Junge mich zu seinem Bruder bringen möchte, der etwas weiter hinten Tee verkauft. Wir gehen mit. Wir lassen uns Tee eingießen, er schmeckt lecker und wärmt.
Spielende Kinder auf dem Berg
Auf einmal werden wir von ein paar Leuten
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