Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will - Zu Besuch in Afghanistan
Essen kennenlernt, geschweige denn, dass sie an der Mahlzeit im selben Zimmer teilhaben.
Unser Gastgeber sei aber extrem liberal und eine absolute Seltenheit, bemerkt Tabea.
Das sähe man auch schon daran, dass die Töchter keine Angst vor ihm hätten. Man kann deutlich erkennen, dass sie sich über ihren Papa freuen.
Die erste Dame in der Reihe ist die Mutter unseres Gastgebers. Dann kommt die Ehefrau. Er hat nur eine. Man könnte, wenn man genug Geld hat, aber auch ohne Probleme mehrere haben.
Nach der Dame des Hauses begrüßen wir die acht Töchter. Sie sind zwischen drei und neunzehn Jahren alt, sehen alle ihrem Vater sehr ähnlich und sind alle sehr hübsch. Komplett verschleiert ist niemand. Die älteren Mädchen, die Mutter und Großmutter tragen lediglich leichte Kopfbedeckung. Alle wirken eher neugierig als verschüchtert.
Tabea hat die afghanische Familie, so teilt sie uns mit, im Vorfeld extra darum gebeten, dass sie nicht für Gäste kochen soll, sondern uns ein normales Essen zubereitet, das es bei ihnen unter der Woche auch ohne Besuch geben würde. Ansonsten, so sagt Tabea, würde sich der Tisch biegen vor lauter Köstlichkeiten. Denn Afghanen würden sich sogar verschulden oder den Rest der Woche selbst nichts essen, um ihrem Besuch das Bestmögliche anzubieten. Afghanen sind gastfreundlich bis zur Selbstaufgabe. Unser Gastgeber Aziz erklärt mir zum Beispiel, dass man in Afghanistan seinen Gast nie fragt, wann dieser wieder geht. Das entscheidet der Gast selbst. Er erzählt mir, dass es passieren kann, dass Familienmitglieder aus den umliegenden Dörfern unangemeldet vorbeischauen und dann monatelang bei ihnen wohnen. Sollten sie dann etwa krank werden und zum Arzt gehen müssen, zahlt die Rechnung stets der Gastgeber. Ich denke an Deutschland. Laut Volksmund endet die Gastfreundschaft bei uns nach drei Tagen. Dann fängt der Fisch zu stinken an.
Gegessen wird in Afghanistan auf dem Boden. Und der ist hier schon üppig gedeckt. Das Tischtuch nimmt fast den ganzen Raum ein. Man setzt sich im Schneidersitz auf den Boden. An der Wand stehen Kissen, an die man sich anlehnen kann. Auf dem gedeckten Tuch stehen schon frisch geschnittenes Gemüse, Joghurt und Gewürze. Für uns hat man auch Besteck ausgelegt, in Afghanistan wird traditionell mit der Hand gegessen.
Tabea erzählt: In Afghanistan, genau wie in jedem anderen islamischen Land, ist es wichtig, einen Sohn zu haben. Man bekommt also so lange Kinder, bis der erste Sohn geboren wird. Das ist auch deswegen wichtig, weil die Frau nicht arbeiten darf, es sei denn, sie ist Ausländerin oder Ungläubige. Oder beides, was bei berufstätigen Frauen in Afghanistan meistens der Fall ist.
Die afghanische Frau bleibt im Normalfall zu Hause. Genau wie die Töchter. Einziger Geldverdiener ist der Mann. Und irgendwann der Sohn. Sollte der Mann sterben und es gibt keinen Sohn, steht die Familie vor dem Aus. Finanzieller Ruin, Armut, Obdachlosigkeit, gar Hungertod sind dann meist nicht mehr aufzuhalten.
Vier der Töchter unseres Gastgebers sind im heiratsfähigen Alter, aber ihr Vater verheiratet sie nicht, solange sie keinen Bräutigam gefunden haben, den sie selbst heiraten wollen. So einen Vater würden sich viele afghanische Mädchen wünschen.
Dann wird gegessen. Es gibt Reis mit Rosinen und Gemüse. Es schmeckt alles unheimlich lecker. Dazu gibt es frisch gebackenes Brot und in scharfer Soße gekochtes und gebackenes Lamm.
Zu trinken gibt es Cola, Fanta und Mountain Dew. Das, sagt Tabea, würde es allerdings nicht jeden Tag geben. Man sieht es an den Augen der Kinder, die den Blick gar nicht mehr von den Dosen lassen können.
Zwischen den Gängen unterhalten wir uns über Afghanistan. Auch über den militärischen Einsatz. Man erklärt uns, dass der größte Teil der Afghanen in Kabul heilfroh und dankbar darüber gewesen wäre, als die Truppen der Vereinten Nationen die Taliban nach dem 11. September aus der Stadt vertrieben hätten. Doch mittlerweile hätten sie anstatt Unmengen von Soldaten lieber Strom, Wasser und Experten, die ihnen beim Aufbau des Landes helfen. Aufgrund der afghanischen Gastfreundlichkeit äußert sich unser Gastgeber allerdings nicht hässlich über die stationierten Soldaten. Ich hingegen rieche Fisch, der schon seit Längerem stinkt.
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