Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein Bär im Betstuhl

Titel: Ein Bär im Betstuhl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
Vom Netzwerk:
lockerten sie sich nur manchmal beim Wodkatrinken, und die Mädchen ließen ein helles Lachen erklingen, wenn im Kasino der Marine zum Tanz aufgespielt wurde. Der Kapitän zeigte Oskari und Sapperlot das Freilicht­ museum, die Dwina mit dem Flößholz und der Zellulose­ fabrik, und gegen Abend besuchten sie außerhalb der Stadt eine alte Sauna aus grauen Balken. Sie schraub­ ten eine Wodkaflasche auf, legten sich ins Gras und betrachteten das kleine Dorf, das sich unmittelbar vor ihnen ausbreitete. Ein halbes Dutzend Männer war auf einer Wiese mit Heumachen beschäftigt, alle waren stockbesoffen, sodass der Kapitän und der Pastor stän­ dig fürchteten, sie könnten in ihre Sensen stolpern, wenn sie mitten in der Arbeit einschliefen.
    Dem Bären gefiel es, draußen in der Natur zu sein und zu faulenzen, er sog mit bebenden Nüstern den Duft des frischen Grases ein, schnappte nach einer summenden Hummel und legte sich mit übereinander geschlagenen Beinen hin, genau wie der Kapitän und der Pastor. Die beiden Männer gaben auch ihm einen Schluck Wodka, doch der schmeckte ihm nicht, und er spuckte ihn unter wütendem Prusten wieder aus.
    Nachts kehrten sie aufs Schiff zurück. Früh am Mor-gen wurden die Anker gelichtet, und die Fahrt ging über das neblige Meer nach Solowezk. Dort blieb das Schiff westlich der Insel auf Reede. Der Nebel über dem Meer war so dicht geworden, dass sich die von der Insel aus­ geschickten Motorboote und Schlepper verirrten, sie schaukelten auf den sanften Wellen des Weißen Meeres und fanden weder zur Insel zurück noch fanden sie das Schiff, von dem sie die betagten finnischen Kreuzfahrt­ passagiere abholen sollten. Achtzehn Stunden lag die Alla Tarasowa draußen auf Reede, bis sich der Nebel endlich verzog und die Boote ans Schiff kommen konn­ ten. Die Gangway wurde hinuntergelassen, und die hundertköpfige Schar von Großmüttern bekam endlich Gelegenheit, die berühmte Klosterinsel zu besichtigen.
    Die finnischen Reiseleiter übernahmen die Führung der Touristen. Kapitän Leontjew schloss sich Pastor Huuskonen und Sapperlot an. Als Führerin bekamen sie eine Mitarbeiterin der Funk- und Telegrafenstation des Hafens, eine junge Frau in Militäruniform, die Englisch sprach und zufällig Zeit hatte, ihnen die wechselvolle Geschichte des berühmten, aber auch berüchtigten Solowezks vorzustellen. Tanja Mihailowa war etwa drei­ ßig Jahre alt, zart, hellhäutig und für eine Russin ziem­ lich groß, sodass sie irgendwie vornehm wirkte. Sie erzählte, dass die Insel etwa dreihundert Quadratkilo­ meter groß sei und dass sich einst im fünfzehnten Jahr­ hundert die drei Einsiedler Herman, Sosima und Sawati dort niedergelassen und ein Kloster gegründet hatten. Von dort aus war die Bevölkerung weiterer Küstengebie­ te im Norden wie im Westen des Weißen Meeres zum orthodoxen Glauben bekehrt worden. Die Erkundungs-und Raubzüge der Mönche hatten sich bis nach Finn-land ausgedehnt. Die Mönche hatten in strenger Askese gelebt, und von weither waren Besucher gekommen, um sie zu bestaunen. Das Kloster war reich und berühmt gewesen, bis es im zwanzigsten Jahrhundert nach der Revolution eine andere Funktion erhielt. Der schreckli­ che Teil der Geschichte des Ortes hatte begonnen, seit das Kloster als Gefängnis genutzt worden war. Tanja erzählte, dass man bei jedem Schritt seinen Fuß auf Menschenknochen setzte, auf die Überreste der Strafge­ fangenen.
    In Solowezk waren also jahrhundertelang die eintöni­ gen orthodoxen Vigilien erschallt, waren Mönche durch die eisigen Straßen der Insel gewandert, hatten sich bekreuzigt und Gott gefürchtet. Später waren zigtausen­ de von Menschen dem Hungertod preisgegeben oder hingerichtet worden, und im letzten Weltkrieg hatten sich hier die jungen Rekruten der sowjetischen Marine­ infanterie, steif vor Kälte und geschwächt vom Hunger, mit klammen Fingern an den sumpfigen Kriegsstraßen ihre öden Ausbildungsunterstände gegraben. Man hatte ihnen beigebracht, wie sie im Krieg zu kämpfen und zu sterben hatten, und sie hatten es brav befolgt.
    »Ich stamme aus Archangelsk und habe seitens mei­ ner Mutter norwegische Vorfahren, beherrsche aber die Sprache nicht. Mein Großvater fiel im Winter 1940 im Krieg gegen Finnland, mein Vater starb, als ich fünf Jahre alt war. Meine Mutter arbeitet in Archangelsk als Lehrerin und wird demnächst pensioniert, aber sie stirbt bald, weil sie schwer krank ist. Sie hat Krebs.«
    Tanja führte

Weitere Kostenlose Bücher