Ein Bär im Betstuhl
überreichte ihm Tanja zwei Ant worttelegramme. Eines stammte von der Witwe Saimi Rehkoila. In Nummenpää verlief das Leben in gewohnter Weise, Saimi würde eine recht anständige Roggenernte einfahren, und aus dem See hatte sie eine Menge Fische geholt. Das Telegramm endete mit der lakonischen Mitteilung:
»Ihre Ex soll sich mit Generalmajor Roikonen verlobt haben.«
Die Töchter bedachten ihren Vater ebenfalls mit Grü ßen, aber von Sonja Sammalisto aus Oulu kam keine Antwort. Von Solowezk nach Oulu waren es nur ein paar hundert Kilometer Luftlinie, aber dazwischen lagen das Meer und die Staatsgrenze und unendliche Wälder. Jetzt hatte der Pastor keine Sonja und auch keinen Bären mehr.
Huuskonen verbrachte seine Tage damit, durch die Wälder der Klosterinsel zu streifen und nach Sapperlot zu rufen, aber der Wald blieb still, und der Bär antwor tete nicht. Abends saß der betrübte Mann auf den kal ten Steinen am Ufer des Weißen Meeres, den Kloster mauern gegenüber, und betrachtete die verfallenen Zwiebeltürme, schlürfte deprimiert Wodka und dachte über sein Leben nach. Da gab es wahrlich genug Kum-mer für einen einzelnen Mann: Der arme Oskari war von aller Welt verlassen, saß einsam und allein an einem kalten Strand, ohne einen einzigen Freund, Kapitän Leontjew war ermordet worden… Er selbst von seiner Frau verstoßen, von der Geliebten vergessen, von sei nem Bären verlassen, war ohne Aufgabe, Arbeit, Ge meinde, ohne Glauben an die Zukunft. Es gab nur den Wodka und das weite, von kaltem Nebel bedeckte Meer.
»Herr, ich weiß, dass deine Gerichte recht sind, du hast mich treulich gedemütigt.«
Diese harten Worte aus einem Psalm schienen sich nun zu bewahrheiten, obwohl er sich fragte, ob es sich überhaupt lohnte, an all das zu glauben. Nicht einmal dieses Glück, das Vertrauen eines Christen auf Gott und sein Wort, war Oskari Huuskonen mehr vergönnt, nicht einmal mehr das. Erst in der Nacht erhob er sich von seinem Stein, die leere Flasche blieb am Strand zurück. Langsam torkelte er zur Funkbaracke in der Hoffnung, Schlaf zu finden.
In der hellen Sommernacht kam ihm Tanja Mihailowa entgegengelaufen, die es sehr eilig hatte. Keuchend warf sie sich an seine Brust, umarmte ihn und berichtete:
»Sapperlot ist wieder da, er ist von ganz allein aus dem Wald gekommen und im Kloster eingefangen wor den. Ist das nicht herrlich, Oskari?«
KOSAKENTÄNZE
IN DEN WÄLDERN VON SOLOWEZK
Man hatte Sapperlot in den Lagerräumen des Klosters entdeckt. Er war zu nächtlicher Stunde in die Brotbier brauerei der Mönche eingedrungen, die nach dem Zu sammenbruch der Sowjetunion wieder in Betrieb ge nommen worden war, hatte dort Brot und Malz ver schlungen und Stammwürze getrunken. Er war so sturzbetrunken gewesen, dass er unfähig gewesen war, Widerstand zu leisten, als man ihn eingefangen und in einer Mönchszelle, die gerade renoviert wurde, einge schlossen hatte. Oskari und Tanja eilten zum Kloster, um ihn abzuholen. Er war inzwischen so weit ausge nüchtert, dass er seinen Herrn und dessen neue Beglei terin erkannte. Die Wiedersehensfreude war groß. Der Bär und der Pastor, beide betrunken, umarmten einan der ausdauernd. Oskaris Augen waren feucht, und der Bär leckte ihm glücklich das Gesicht.
Oskari nahm den Bären zur Nacht mit in die Funkba racke, wo sich dieser zufrieden auf dem Fußboden schlafen legte. Jetzt war alles wieder gut.
Ende Juli ankerte auf der Reede vor Solowezk das weiße Passagierschiff Tatjana Samoilowa. Es war das Schwesterschiff der gekaperten Alla Tarasowa und sollte die begonnenen Kreuzfahrten fortsetzen. An Bord befan den sich an die hundert finnische Rentner, die mit Motorbooten und Schleppkähnen abgeholt wurden, damit sie die Klosterinsel bewundern konnten. Pastor Huuskonen freute sich:
Jetzt würde sich ihm endlich Gelegenheit bieten, Solowezk zu verlassen. Er suchte sofort den Kapitän auf, es war ein junger Mann, der ziemlich unfreundlich wirkte, und als er Huuskonens Anliegen hörte, reagierte er ablehnend:
»Ich soll Sie anheuern, damit Sie auf meinem Schiff evangelische Predigten halten? Sind Sie noch bei Trost?«
Huuskonen zeigte seinen Seemannspass und erklärte, dass er mit dem Kapitän der Alla Tarasowa eine Verein barung über entsprechende Andachten für finnische Touristen getroffen habe. Die Andachten seien sehr positiv aufgenommen worden.
»Hören Sie, guter Mann. Meine Tatjana Samoilowa wird nicht zu einem
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