Ein Bär im Betstuhl
wurde. Man könnte es ja einfach mal versuchen.
Der Pastor war begeistert. Wie schön, womöglich könnte er mit eigenen Ohren die Stimmen aus dem All hören. Natürlich war die Empfangsqualität auf der Telegrafenstation von Solowezk nicht unbedingt Spit zenklasse und nicht zu vergleichen mit den amerikani schen Radioteleskopen oder dem Volumen auf den russischen Raketenstützpunkten. Andererseits könnte die Lage der Insel fern auf der nördlichen Halbkugel, an einsamer Stelle fast mitten im weiten Meer, durchaus von Vorteil sein: Vielleicht bestand gerade hier die Mög lichkeit, Botschaften zu empfangen, die von einem frem den Planeten auf die Erde gesandt worden waren? Ga rantiert hatte in dieser Ecke der Welt noch niemand den Kosmos abgehört, um herauszufinden, ob in seinen unergründlichen Tiefen ein übermächtiger Verstand hauste.
Während der Pastor so auf den Fichtenzweigen und in der Wärme des Lagerfeuers dalag, in einem Arm den Bären, im anderen eine russische Frau, sagte er:
»Das hier könnte sich zu etwas wahrhaft Überirdi schem entwickeln.«
DIE WALDSCHULE
Den ganzen Spätsommer und Herbst nutzte Pastor Huuskonen für Sapperlots Ausbildung. Dabei lernten sie die ganze Insel, oder vielmehr Inselgruppe, kennen. Die Hauptinsel selbst umfasste zweihundertfünfundachtzig Quadratkilometer, sie hatte steinige Ufer, war größten teils flach und mit dichtem Wald bewachsen, dazwi schen lagen unzählige Waldteiche und kleine Seen. Während der grausamen Jahre des Strafgefangenenla gers waren die Wälder gnadenlos abgeholzt worden, aber inzwischen bemerkte man von dieser Zerstörung nicht mehr viel, es war neuer Wald nachgewachsen, und der scharfe Wind, der vom Weißen Meer her wehte, konnte nicht mehr ins Innere der Insel eindringen. Durch einen Damm war die Hauptinsel mit zwei Nebeninseln ver bunden, und weiter draußen im Meer sah man die Insel Anzerskaja, wo sich die Klause des Klosters und der gut hundert Meter hohe Berg Golgatha befanden, wohin Huuskonen mit seinem Bären aber nicht gelangen konn te, da er kein Boot besaß.
Höchster Punkt auf der Hauptinsel war der Berg Se kirnaja in der Nordwestecke, der sich etwa hundertfünf zig Meter über den Meeresspiegel erhob. Dorthin führte von dem Teil des Klosters, der Kreml hieß, eine holperige Straße, über die Oskari Huuskonen oft mit seinem Bären trabte, manchmal bestieg er auch den Berg, um die dort errichtete kleine Kirche zu besichtigen und sich mit den Besuchern zu unterhalten. Aber am liebsten streifte er mit Sapperlot durch die tiefen Wälder, lagerte sich an einem der schwarzen Teiche auf weiches Torf moos, angelte Barsche oder hielt für den Bären Wald schule.
Zu Huuskonens Studium an der theologischen Fakul tät hatte seinerzeit auch Pädagogik gehört, und nun bot sich ihm Gelegenheit, das dort erworbene Wissen auf Sapperlot anzuwenden. Obwohl der Bär kein Mensch war, eigneten sich die bewährten alten Erziehungsprin zipien überraschend gut für ihn, er belohnte den Schü ler also für gute Leistungen, ging ihm mit gutem Beispiel voran und spornte ihn unermüdlich an.
Der Pastor teilte Sapperlots Ausbildungsprogramm in drei Teile ein, die man auch Fächer nennen könnte. Als Erstes bekam der Bär Tanzstunden, das zweite Fach war Religion, und das dritte beinhaltete die praktischen Fähigkeiten: Haushalt, Servieren und Ähnliches.
Der Unterricht wurde so gestaltet, dass Tanja dem Bären an ihren freien Tagen Tanzstunden gab, ihm außer Trepak auch alte Gesellschaftstänze wie Walzer, Mazurka und sogar Polonaise beibrachte. Ein Kofferra dio mit Kassettenteil, das sie immer in den Wald mit brachte, sorgte für die musikalische Begleitung.
Pastor Huuskonen übernahm den Religionsunter richt. Der Bär schlug ja bereits geschickt das Kreuz und faltete die Tatzen oder ließ sich auf alle viere nieder, hob das Maul gen Himmel und sah fromm und andächtig aus. Jetzt bekamen diese Fähigkeiten ihren letzten Schliff, und der Bär lernte weitere religiöse Gebärden. Der Pastor unterwies ihn in den liturgischen Handlun gen: Taufe, Trauung und Beerdigung. Zu singen lernte er natürlich nicht, aber er wiegte sich mit andächtiger Miene im Takt von Huuskonens Gesang.
Zusätzlich zu diesen christlichen Bräuchen lehrte Huuskonen ihn auch, sich nach islamischer Sitte auf den Boden zu werfen und in Richtung Mekka zu vernei gen, ferner brachte er ihm ein paar meditative Handlun gen des
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