Ein Ballnachtstraum
ihn sehen konnte. Nicht genug damit, anschließend hatte Mildred Eloise dazu überredet, auch noch Ralphs Bett in seinem Haus anzuzünden.
Am nächsten Tag verließen die beiden Rächerinnen das Dorf in getrennten Postkutschen und hatten seither nie wieder etwas voneinander gehört.
„Um Himmels willen, Eloise“, hatte Mildred beim Abschied gesagt. „Weine diesem elenden Schuft bloß keine Träne nach. Ralph ist keinen Pfifferling wert.“ Mildred hatte ihr ein zerknittertes Taschentuch aus ihrem Retikül gereicht. „Du hast dich ihm doch hoffentlich nicht hingegeben, oder?“
„Nein.“ Eloise putzte sich die Nase und blickte wehmütig zu dem rauchgeschwärzten Kamin von Ralphs Cottage hinüber. „Und du, Mildred?“, fragte sie, ohne eigentlich die Antwort wissen zu wollen.
„Um mich brauchst du dir keine Sorgen zu machen.“ Mildred warf ihre rabenschwarze Lockenmähne nach hinten über die Schulter. Sie wirkte erwachsener und reifer und war sehr schön, und Eloise hatte sie immer heimlich bewundert. Es war nicht überraschend, dass Ralph sich in sie verliebt hatte. „Ich habe nie den Wunsch verspürt, mein Leben in diesem gottverlassenen Nest zu versauern. Ich bin zwar nur eine einfache Wirtstochter, aber ich dulde keinen Verrat, Eloise. Und du musst mir versprechen, dass du das auch nicht duldest. Such dir einen anständigen Mann, der dich wirklich liebt und dir treu ist.“
In den ersten Monaten, nachdem sie Titchbury verlassen hatte, schrieb Eloise gelegentlich Briefe an ihre Eltern, die nie beantwortet wurden. Und mit der Zeit schwand ihr Heimweh und ihr Wunsch, in den Schoß der Familie zurückzukehren.
Schließlich fand sie sich damit ab und zog es vor, den Rest ihres Lebens für andere Leute zu arbeiten, als den Klatsch und die bösen Blicke ertragen zu müssen, wenn sie wieder zurückgekehrt wäre. Im Übrigen schien sie niemand zu vermissen; es war, als habe sie für ihre Familie aufgehört zu existieren.
Sie verdiente ihren Lebensunterhalt als Gouvernante und war eifrig darum bemüht, sich gute Referenzen zu verschaffen. Sie dachte nur selten an Ralph, fragte sich aber manchmal mit leiser Wehmut, was aus Mildred Hammersmith geworden sein mochte.
Ihr geheimer Skandal lag in der Vergangenheit vergraben. Wenn sie allerdings die gegenwärtige Krise nicht unbeschadet überstand, wäre sie genau wieder dort, wo sie vor sechs Jahren angefangen hatte.
Nun eilte sie durch den schmalen Korridor zur Haustür, der ergraute Butler Heston humpelte mit seinen gichtigen Knien vor ihr her. „Ich öffne, Miss“, sagte er mürrisch. „Vielleicht sind es schlechte Nachrichten.“
Schlechte Nachrichten. Eine Menge unangenehmer Möglichkeiten taten sich vor ihrem inneren Auge auf. Lord Thornton hatte sich das Leben genommen; Thalia hatte einen Unfall gehabt; Gläubiger forderten Einlass, um die restlichen Wertgegenstände fortzuschaffen, wobei die meisten bereits verkauft worden waren, um Schulden zu bezahlen.
Am Garderobenständer verharrte sie, wagte kaum zu atmen, als Heston vorsichtig die Tür öffnete. Im Mondschein waren die Umrisse einer hochgewachsenen sehnigen Männergestalt zu sehen. Eloises Herz machte einen erschrockenen Satz. Sie konnte das Gesicht nicht erkennen, aber irgendetwas an der Gestalt kam ihr vertraut vor.
Sie atmete erleichtert auf, eilte dem Butler hinterher, der die Tür nicht weiter als einen Spalt aufgemacht hatte. „Nun stehen Sie doch nicht einfach nur da. Wo sind Ihre Manieren? Bitten Sie den Herrn herein.“
„Aber es ist nach Mitternacht und er ist ein Fremder …“
Eloise musste an sich halten, um die Tür nicht selbst aufzureißen. Er ist es, schoss es ihr in bebender Erleichterung durch den Sinn. Der selbstbewusste, gut aussehende Bekannte von Lord Thornton, der sie geküsst und nach Hause gebracht hatte. Sie erkannte das dunkel gelockte Haar, die imposante athletische Figur in einem elegant geschnittenen Mantel. Es war wohl kühl geworden, denn auf der Fahrt hatte er nur einen Gehrock getragen. Sie hatte Mühe, klar zu denken, und blickte den verdatterten Butler stirnrunzelnd an.
„Unsinn“, sagte sie halblaut. „Der Herr würde nicht zu dieser späten Stunde vorsprechen, wenn es nicht dringend wäre. Bitten Sie Ihn augenblicklich herein.“
5. KAPITEL
Drake ließ sich von einem lächelnden jungen Mädchen Hut und Handschuhe abnehmen, während er ein paar Bekannte im Empfangssalon von Audrey Watsons exklusivem Club begrüßte. Er war ein häufiger
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