Ein Ballnachtstraum
Besucher in diesem Haus, ein Privileg, das nur eine ausgesuchte Klientel der besten Londoner Gesellschaft genoss. Audrey legte noch strengere Maßstäbe für die Aufnahme in ihren Club an als bei Almack üblich. Allerdings waren die Zerstreuungen, die den Kunden in ihrem Haus geboten wurden, von durchaus exquisiter Qualität, die natürlich ihren Preis hatte.
Seit Jahren hegte Audrey eine besondere Zuneigung zu den Herren der Familie Boscastle, wie für alle Herren des ton, die sich entweder durch Reichtum, Geist oder gutes Aussehen auszeichneten. Drake Boscastle vereinte alle drei Attribute in seiner Person. Es war Audrey nicht verborgen geblieben, dass er in letzter Zeit missmutig, ja beinahe schwermütig wirkte. Er trug sich sogar mit dem Gedanken, seine Militärlaufbahn wieder aufzunehmen und sich gegebenenfalls nach Indien versetzen zu lassen. Sie und seine glühenden Verehrerinnen hatten eingehend und besorgt erörtert, welchen Verlust es für Audreys Club bedeuten würde, ihn als Gast zu verlieren.
Drake nahm das Glas Burgunder entgegen, das ein Lakai ihm auf einem Silbertablett reichte. Audrey verwöhnte ihre Gäste mit erlesenen Weinen, köstlichen Delikatessen, anregenden Gesprächen und nicht zuletzt mit erotischen Vergnügungen mit den schönsten Frauen Londons. Seltsamerweise stand ihm plötzlich nicht mehr der Sinn nach all diesen Sinnesfreuden, er verspürte nur eine nagende Leere in seinem Innern, die er in der Vergangenheit stets zu verdrängen gewusst hatte. Und plötzlich war er nicht einmal mehr sicher, ob die Gesellschaft der Lebedame, nach der er sich so sehr gesehnt hatte, seine Stimmung aufhellen würde.
Audrey, die ihr kastanienbraunes Haar zu einem üppigen Nackenknoten trug, näherte sich ihm mit unverhohlener Freude und nahm ihm das Kristallglas aus der Hand. „Drake“, grüßte sie in einer Mischung aus Erleichterung und Besorgnis. „Ich hatte schon befürchtet, du hättest deine Meinung geändert. Du verspätest dich.“
„Ich wurde aufgehalten.“ Er ließ den Blick durch den Salon schweifen. „Habe ich die Gefühle der Dame verletzt?“
„Sie ist empört. Eine gefeierte Schönheit wie sie lässt man nicht warten. Das ist kein vielversprechender Anfang.“
Ein ironisches Lächeln umspielte seinen schön geschwungenen Mund. „Dann muss ich mir wohl besondere Mühe geben, mein Vergehen wiedergutzumachen, wie?“
„Beneidenswerte Maribella“, murmelte sie und legte ihre Finger leicht an seinen Ärmel. „Hast du dir das auch sorgfältig überlegt? Sie ist ziemlich anspruchsvoll.“
Seine blauen Augen blitzten belustigt. „Genau wie ich.“
„Und sie hat einen ausgesuchten Geschmack.“
„Wie gut, dass ich sie mir leisten kann.“ Er straffte die Schultern. „Wo finde ich sie?“
„Im Kabinett neben dem venezianischen Salon, den du angefordert hast. Sie wollte sich den anderen Gästen nicht zeigen.“
Drake war keineswegs überrascht. „Eine wählerische Dame. Ich werde mein Bestes geben.“
Audrey musterte ihn belustigt. „Das dürfte dir nicht schwerfallen. Ich jedenfalls kenne einige Damen, die sich das Privileg deiner Gunst einiges kosten lassen würden.“
Er neigte den Kopf und hauchte ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange. Er zählte Audrey zu seinen engsten Vertrauten. „Du übertreibst wieder einmal. In letzter Zeit kann ich mich selbst nicht ausstehen. Hoffentlich gelingt es mir, die Dame in eine versöhnlichere Stimmung zu versetzen.“
Audrey gab ihm einen freundschaftlichen Schubs in den angrenzenden Flur. „Wenn du sie noch länger warten lässt, wird sie dich gar nicht empfangen. Geh endlich, Darling. Es wurden bereits Wetten abgeschlossen, wie diese Affäre sich entwickeln wird.“
Drake lachte tief und melodisch. „Auch ich bin gespannt, wie die Dinge sich entwickeln.“
Auf dem Weg zur Tür, hinter der ihn zwar nicht eine Wende seines Schicksals, immerhin aber ein reizvolles erotisches Abenteuer erwartete, befiel ihn eine befremdliche Befangenheit. Er fand keine Erklärung dafür, wieso seine freudige Erwartung sich in den letzten Stunden merklich abgekühlt hatte. Sonst war er doch auch keinem Techtelmechtel abgeneigt.
Er öffnete die Tür.
Die schöne Maribella lag wie hingegossen auf einem roten Damastüberwurf auf dem breiten Bett und hatte der Tür den Rücken zugedreht. Ihr kupferrotes Haar wallte in schimmernden Locken über ihre nackten Schultern. Sie war erstaunlich schlank und zierlicher, als er sie sich vorgestellt
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