Ein Ballnachtstraum
nichts mehr an.“
Es war sehr verlockend, sich von seiner Unbekümmertheit mitreißen zu lassen, und es bereitete ihr einige Mühe, eine missbilligende Miene aufzusetzen. „Ist sie unten im Salon, oder hat sie sich direkt in ihr Zimmer begeben?“
Nach einem längeren Schweigen erklärte er: „Sie ist gar nicht hier.“
Eloise blinzelte verständnislos.
„Ich wollte sie nicht zwingen, mich zu begleiten. Vermutlich hätte sie Widerstand geleistet“, gestand er. „Im Übrigen hat sie mich gar nicht gesehen. Um diese Situation sollte ihr Bruder sich kümmern.“
Eloise presste die Lippen aufeinander. „Dummerweise ist er nicht da, um sich um irgendetwas zu kümmern. Na schön, mir bleibt also keine andere Wahl. Ich muss sie selbst nach Hause holen, da sich niemand sonst bereit erklärt, die Verantwortung zu übernehmen.“
Drake straffte die Schultern. „Nein, das tun Sie nicht. Das war keineswegs eine harmlose Familienfeier, zu der Percy und Thalia eingeladen waren.“
„Das habe ich auch keine Sekunde angenommen“, entgegnete sie. „Aber jemand muss sie nach Hause bringen. Ich nehme Freddie zu meinem Schutz mit.“
Drake schnaubte verächtlich. „Und wer zum Teufel soll Freddie beschützen? Das spindeldürre Bürschchen wird ja schon von einem Windstoß umgeworfen. Im Übrigen dürfen Sie dieses Haus nicht betreten. Die jungen Stutzer dort werfen nur einen Blick auf Sie und …“
Er führte den Satz nicht zu Ende. Sie würden vermutlich genau das tun, was er selber gern tun würde, und das durfte nicht geschehen. Nein, er musste dafür sorgen, dass sie sich nicht in eine gefährliche Situation begab.
Sie blickte ihm unverwandt ins Gesicht. „Handelte es sich um eine Orgie?“
Er zögerte. „Orgie ist vielleicht eine leicht übertriebene Beschreibung für ein Zechgelage im Haus eines Junggesellen. Aber eine nette Familienzusammenkunft war es auch nicht unbedingt.“ Eloise wäre zutiefst entrüstet, wüsste sie um die dekadenten Ausschweifungen dieser Feste. Früher hatten ihn solche Vergnügungen amüsiert, mittlerweile fand er sie abstoßend. Drake war klar, warum Percy Thalia dazu eingeladen hatte, schließlich hatte er früher selbst an solchen Saufgelagen teilgenommen. Allerdings hatten sich die Frauen, die gleichfalls mit von der Partie gewesen waren, nie über den Verlust ihrer Unschuld beklagt.
„Sie setzen jedenfalls keinen Fuß in dieses Haus“, erklärte er mit Bestimmtheit. „Ich bringe Thalia zurück.“
„Haben Sie nicht gerade gesagt, das liegt nicht in Ihrer Verantwortung?“
Wieder spürte er, dass diese Frau etwas in ihm auslöste, das süß und bedrohlich zugleich war. „Das heißt ja nicht, dass ich Ihnen nicht helfen will.“
Sie sah ihn lange sinnierend an, bevor sie lächelte. „Ich werde nicht schlau aus Ihnen.“
Er bückte sich nach seinem Gehrock. „Das ist auch besser für Sie und für mich. Diese Anwandlung von Hilfsbereitschaft ist eigentlich völlig gegen meine Natur. Fragen Sie jeden, der mich kennt. Fragen Sie meine Familie. Jeder wird Ihnen bestätigten: Ich bin rettungslos verloren.“
Er glaubte, ein spöttisches Funkeln in ihren Augen zu bemerken, als er sich wieder aufrichtete. „Wenn Sie meinen“, erwiderte sie kühl.
„Das sagen alle.“
„Tatsächlich?“, fragte sie leise.
Sie glaubte ihm nicht. Er könnte ihr Geschichten über sich erzählen, die sie eines Besseren belehren würden. „Ja, seit dem Tag meiner Geburt.“
12. KAPITEL
Auf halbem Wege zur Haustür hörte Drake zögernde Schritte hinter sich und drehte sich zu dem mageren jungen Burschen mit dem rothaarigen Wuschelkopf um, der an der hinteren Stiege zum Küchentrakt stand.
„Ach, du bist es, Freddie“, sagte er und streifte die Handschuhe über, die er an der Garderobe abgelegt hatte. „Ich dachte, ihr seid alle im Theater.“
Der junge Diener trat ein paar Schritte in die Diele und warf einen Blick die Treppe hinauf, bevor er sprach. „Ich bin nach dem ersten Akt gegangen. Irgendwie hatte ich kein gutes Gefühl, Miss Goodwin allein zu lassen. Nicht nach allem, was sie durchgemacht hat.“
Drake lächelte. Die Treue des Burschen war irgendwie rührend, obwohl er nicht aussah, als sei er fähig, einen ungebetenen Besucher vor die Tür zu setzen. „Das war sehr vernünftig.“
„Danke, Mylord.“ Freddie erwiderte Drakes Lächeln nicht, sondern behielt seine ernste Miene bei. „Werden Sie ihr helfen?“
„Wie es scheint, bin ich schon dabei“, entgegnete
Weitere Kostenlose Bücher