Ein Ballnachtstraum
Windstoß wehte vom Fluss herauf. Falls Devon die knappe Erklärung seines Bruders bemängelte, war er klug genug, ihn nicht weiter zu bedrängen. „Willst du eine Maske?“
Drake bemerkte mit leiser Heiterkeit die schwarzen Dominokostüme, die Devon über dem Arm trug. „Erinnerungen an deine Streiche als Straßenräuber?“
„Mach dich nur lustig über mich“, erwiderte Devon grinsend. „Man kann nie wissen, wann eine Kostümierung hilfreich ist. Manche Damen genießen die Vorstellung, in dunkler Nacht von einem fremden Banditen überfallen und verführt zu werden.“
Drake nahm einen Kapuzenumhang entgegen, den Devon ihm reichte. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass du dich zu einem Verführer gemausert hast, kleiner Bruder.“
„Ist das ein Wunder bei diesen verruchten Geschwistern als leuchtende Beispiele?“
„Wenn du meinem Beispiel folgst, kannst du sehr bald auf Abwege geraten.“ Drake warf sich lachend den Umhang über die Schultern, dessen schwere Falten ihn umwallten wie schwarze Rabenschwingen, als die beiden sich dem Haus näherten. Auf einem grob gezimmerten Holzschild an der Haustür war zu lesen:
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„Französischunterricht?“ Devon pfiff leise durch die Zähne. „Das gefällt mir. Vielleicht ist diese Nacht doch nicht völlig sinnlos vergeudet.“
Drake schüttelte belustigt den Kopf. „Ich nehme mir die oberen Räume vor. Du schaust unten nach.“
Niemand erschien, als er die Haustür öffnete. Niemand stellte sich ihm auf der Treppe in den Weg, und niemand hinderte ihn daran, einen Blick in die Zimmer im ersten Stock zu werfen. Im letzten Zimmer entdeckte er Thalia, in einem zerknitterten Seidenkleid zusammengerollt in einem Polstersessel, während Percy in einer Ecke auf dem Teppich lag und mit offenem Mund schnarchte.
Das Mädchen hob schlaftrunken den Kopf, nahm Drakes maskierte Gestalt in allmählich dämmerndem Bewusstsein wahr, und drückte sich angstvoll tiefer in den Sessel. „Gehen Sie weg! Gehen Sie, sonst schreie ich das ganze Haus zusammen.“
Drake stieß Percy verächtlich mit der Stiefelspitze an, der etwas Unverständliches lallte und die Augen nach hinten verdrehte. Drake ließ ihn zufrieden. Hatte er in seinen wilden Jugendtagen auch so jämmerlich ausgesehen? Er fürchtete, die Antwort zu kennen.
„Ziehen Sie Ihre Schuhe an, Thalia“, befahl er mit leiser Stimme. „Ich bringe Sie nach Hause. Und es wäre vernünftiger gewesen, wenn Sie vor ein paar Tagen um Hilfe geschrien hätten.“
Sie setzte sich mühsam hin, und in ihren Augen leuchtete ein Hoffnungsschimmer. „Lord Drake?“, flüsterte sie angstvoll. „Sie sind es doch, nicht wahr?“
„Ja.“ Er hob einen Seidenschuh vom Teppich auf, während sie den zweiten unter den Polstern hervorholte. Drake musterte Percys bleiches, aufgedunsenes Gesicht voller Abscheu. „Mein Gott, was für eine Schande. Er lebt noch.“
Thalia versuchte, ihr derangiertes Kleid zu ordnen. „Um den wäre es gewiss nicht schade“, stieß sie verächtlich hervor.
„Soll ich ihn aus dem Fenster werfen, um der Menschheit einen Gefallen zu tun?“
Sie strich sich fahrig das wirre Haar aus dem Gesicht und blickte ihn hilflos an. „Ich will nicht, dass Sie meinetwegen Unangenehmlichkeiten haben. Ich … ich will nur nach Hause, bitte.“
Drake musterte ihre zitternde Gestalt, das zerknitterte Kleid, das unordentliche Haar, die verquollenen Augen, die Tränenspuren auf ihren Wangen. Dann bückte er sich nach ihrem Seidenschal und reichte ihn ihr. „So wie Sie aussehen, haben Sie sich bereits in erhebliche Schwierigkeiten gebracht.“
„Halten Sie mir eine Strafpredigt“, flüsterte sie schuldbewusst. „Ich habe sie verdient.“
Drake seufzte. „Das steht mir nicht zu. Kommen Sie. Ich muss meinen Bruder finden, bevor er sich in Schwierigkeiten bringt.“
Was bei Devon unvermeidlich schien. Drake entdeckte ihn schließlich in der Bibliothek auf dem Sofa mit einer grell geschminkten Rothaarigen auf dem Schoß. Drake räusperte sich laut. „Wieder einmal in klassische Literatur vertieft?“, fragte er von der Tür her.
Devon richtete sich mit einem schuldbewussten Lächeln auf und stellte seine neueste Eroberung sanft auf die Füße. „Wir sprechen gerade über unsere verloren gegangene Freundin. Alice meint, sie sei vor einer Weile mit Percy nach oben verschwunden.“
„Sie steht direkt hinter mir“,
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