Ein Ballnachtstraum
Drake leicht amüsiert über die unnötige Frage.
„Werden Sie Miss Goodwin vor diesem Mann beschützen?“
Welcher Mann? Drake stutzte. Offenbar meinte Freddie Thalias Begleiter. Nun ja, es war kaum verwunderlich, dass die Dienerschaft über das Techtelmechtel der Tochter des Hauses mit Percy Chapman Bescheid wusste.
„Das will ich hoffen, Freddie. Miss Thornton hat ihrer Gouvernante große Sorgen bereitet.“
„Miss Thornton … ja, aber ich meinte …“
Drake musterte ihn scharf. „Was meinst du?“
Freddie zog verlegen die Schultern hoch und schaute auf seine Fußspitzen. „Ich habe mir nichts dabei gedacht, Mylord“, stammelte er. „Mir ist klar, ich sollte mich nicht einmischen, ich meinte es ja auch nicht böse.“
Drake zog eine Braue hoch, als der Bursche beinahe über die eigenen Füße stolperte in seiner Hast, ihm die Tür zu öffnen. Die Nacht war bereits hereingebrochen. Die Lampen einer vorbeifahrenden Kutsche schaukelten im Nebel wie Irrlichter. Als Drake vorhin am Haus angekommen war, hatte ein Mann sich an der Straßenecke herumgedrückt. Nun war er verschwunden. Vermutlich ein Geldeintreiber. Er hatte vorgehabt, Eloise darauf aufmerksam zu machen. Aber ihr Anblick, als sie wie eine üppige Meeresgöttin dem Bad entstiegen war, hatte seine geistigen Fähigkeiten auf ein Minimum reduziert.
Was seiner zukünftigen Mätresse Maribella St. Ives nicht gelungen war. Warum nur? Du liebe Güte, hatte er nicht versprochen, sie heute Nachmittag zu einem Einkaufsbummel zu begleiten? Oder war das gestern gewesen?, schoss es ihm unvermutet durch den Sinn.
„Die Aasgeier umkreisen bereits den Kadaver, Freddie“, murmelte er und setzte den schwarzen seidig glänzenden Zylinder auf. „Ich spreche natürlich von Thorntons Gläubigern, die schon heftig streiten, wer welchen Anteil an der Beute ergattert, wobei ich annehme, dass in diesem Haus nicht mehr viel zu holen ist.“
„Der Kadaver ist bereits bis auf die Knochen abgenagt“, bestätigte Freddie mit unheilvoller Stimme.
„Verriegle die Tür und lasse heute Abend niemanden mehr ins Haus“, riet Drake ihm.
„Sehr wohl, Mylord.“
Drake trat auf die Straße mit dem unbestimmten Gefühl, der Junge hatte noch etwas auf dem Herzen, war aber zu schüchtern, um damit herauszurücken. Er warf noch einen Blick zu dem schwach erhellten Fenster im zweiten Stock hinauf und lächelte, als ein Schatten sich hinter den Vorhängen bewegte. Wer hätte je vermutet, dass diese Frau sein Blut so sehr in Wallung zu bringen vermochte, ohne dass sie auch nur den Versuch machte, mit ihm zu kokettieren? Oder dass er sich auf eine lächerliche Mission begab, die Unschuld eines jungen Mädchens zu retten, dem vermutlich nicht das Geringste an seiner Rettung lag? Ausgerechnet er, der tapfere Offizier, der an der Spitze seiner Kavallerie todesmutig in die Schlacht geritten war. Die Herausforderungen seines Soldatenlebens erschienen ihm weitaus weniger kompliziert. Im Krieg zählten nur zwei Dinge: Sieg oder Niederlage. Leben oder Tod. Damals blieb ihm keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit, um in Trübsinn zu verfallen. Sein Lächeln schwand.
Er hätte es vorgezogen, dem Tod ins Auge zu schauen, statt gegen sein eigenes finsteres Naturell zu kämpfen.
Dunkelheit lag über dem Fluss. Drake ging unruhig vor dem roten Backsteinhaus am Ufer der Themse hin und her. Durch die halb geschlossenen Fensterläden drang schwacher Lichtschein, und aus den Gemächern im ersten Stock war gelegentlich gedämpftes Lachen zu hören. Hinter einem offenen Fenster huschte eine Gestalt in einer Mönchskutte vorbei.
Devon stampfte ungeduldig mit dem Fuß auf. „Hoffentlich kannst du mir einen guten Grund nennen, wieso wir uns hier langweilen.“
„Wir sind Helden, das ist der Grund. Zwei unerschrockene Ritter, die sich aufgemacht haben, einer Dame in Not beizustehen. Auch wenn sie sich mutwillig in ihr eigenes Unglück gestürzt hat“, entgegnete Drake mit einem süffisanten Lächeln.
Devon warf ihm einen feindseligen Blick zu. „Ich spreche von einem guten Grund, nicht von einer rührseligen Bettgeschichte. Ich nehme an, es handelt sich um eine Herzensangelegenheit, wie?“
„Wohl kaum.“ Drake verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Es handelt sich um Thalia Thornton.“
„Ach, du meine Güte“, entfuhr es Devon. „Ich friere mir hier den Hintern ab für diese alberne Göre?“
„Es geht nicht nur um sie. Ich löse ein Versprechen ein.“
Ein feuchtkalter
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