Ein Ballnachtstraum
„Lautet deine Antwort Ja?“
Eloise seufzte. „Du hast versprochen, mir Bedenkzeit zu geben.“
Er nickte bedächtig. Ein Anfall tiefer Schwermut hatte ihn in dieser Nacht zu ihr geführt. Nun war diese allzu vertraute Dunkelheit von ihm gewichen, auch wenn jeder Muskel und jede Sehne in seinem Körper in ungestilltem Verlangen schmerzte. Aber nun war er sich sicher, dass ihre Antwort Ja lauten würde. Er würde ihr geduldig den Hof machen, bis er sie endgültig erobert hatte, und danach würde seine Geduld reich belohnt werden.
„Ich sollte gehen“, sagte er leise und wandte den Blick von ihr. „Von Thornton hast du wohl nichts gehört, nehme ich an.“
Sie furchte die Stirn. „Nein. Nicht nach seiner knappen Botschaft.“
Er küsste sie ein letztes Mal, bevor er sich erhob. „Es gibt genug Gründe dafür, warum du einen Beschützer brauchst, Eloise.“
Eloise fand keine Nachtruhe. Ihre Gedanken überschlugen sich. Nach den sich überstürzenden Ereignissen der vergangenen Woche konnte sie die Vorzüge eines Beschützers wie Drake Boscastle nicht länger leugnen. Vielleicht sollte sie tatsächlich ihre Prinzipien neu überdenken - die hatten ihr bisher ohnehin nicht wirklich viel genutzt.
Als Drakes Mätresse würde sie allerdings nicht nur gegen Sitte und Anstand verstoßen, es wäre auch ein Weg ohne Rückkehr. Sie würde sich von einer verarmten, aber ehrbaren Frau in die liederliche Geliebte eines Aristokraten verwandeln, deren einzige Bestimmung darin lag, die Wünsche eines verruchten Lebemanns zu erfüllen.
Ohne Zweifel die anspruchsvollste Aufgabe ihres Lebens, aber auch die erfreulichste. Bei dem Gedanken, ihm zu gehören, durchströmte sie fieberndes Verlangen nach ihm. Es wäre reiner Selbstbetrug, würde sie behaupten, dass sein Angebot keine große Versuchung darstellte.
Sie hatte lediglich noch nie einen Gedanken daran verschwendet, sie könne sich für die Rolle einer Verführerin eignen.
Am nächsten Morgen war ihr lediglich klar, dass sie bald eine Entscheidung fällen musste.
Vielleicht im Laufe des Tages.
Die Bewohner des Hauses in der Hill Street schienen allesamt mit dem falschen Fuß aufgestanden zu sein Zunächst hatten alle verschlafen und erschienen schlecht gelaunt zum Frühstück. Die Zimmer im Parterre waren eiskalt, weil kein Geld mehr da war, um den Kohlenlieferanten zu bezahlen. Heston glaubte, ein Einbrecher habe ein Tranchiermesser gestohlen, das wisse er genau, weil er alle Messer erst vorige Woche geschliffen hatte. Dann stürmte Mrs. Barnes ins Wohnzimmer wutschnaubend wie ein Schlachtross, weil ein unverschämter Geldeintreiber ihr ihren besten kupfernen Kochtopf förmlich aus der Hand gerissen hatte.
Verdammter Mist“, knurrte Freddie, der mit einer Wolljacke über seinem Nachthemd auftauchte. „Die Gauner ziehen uns noch den letzten Stuhl unter dem Hintern weg.“
Eloise hob abwehrend die Hand. „Es reicht. Hört auf zu lamentieren! Versteckt alle Wertsachen, die noch im Haus sind. Vor allem das Silberbesteck.“
„Das ist alles schon fortgeschleppt“, jammerte Mrs. Barnes. „Ich habe nicht mal mehr ein Messer, um Gemüse für die Suppe zu schneiden.“
Eloise wurde blass. „Aber Heston sagte doch, es fehlt nur ein Messer.“
„Das stimmt.“ Mrs. Barnes verschränkte ihre fleischigen Arme vor ihrer Leibesfülle. „Die anderen habe ich dem Halunken nachgeworfen, der mir meinen Topf weggenommen hat.“
Alles ist durcheinander, dachte Eloise. Die Dienstboten waren außer Rand und Band, keiner gehorchte mehr irgendwelchen Anweisungen. „Freddie, zieh dir bitte etwas Ordentliches an. Ich warte nur darauf, dass demnächst ein Konstabler vor der Tür steht und fragt, warum unsere Haushälterin sich aufführt wie ein Messerwerfer auf dem Jahrmarkt und unschuldige Menschen angreift. Aber das ist wohl auch nicht mehr wichtig, da wir demnächst alle aus dem Haus gejagt werden.“
„Und wo sollen wir unterkommen?“, fragte Heston und richtete sich ächzend auf, nachdem er die letzte Schaufel Holzkohle in den Kamin geschmissen hatte, wovon die Hälfte auf dem Teppich gelandet war.
Eloise hatte Mitleid mit den jämmerlichen Gestalten. Wer würde schon einen gebrechlichen Butler anstellen, der jeden Augenblick tot umfallen könnte? Oder eine Haushälterin, die lieber als Messerwerferin in Astley‘s Royal Circus auftreten würde und stets eine Flasche Brandy in ihrer Schürzentasche versteckte?
Keiner hatte Ersparnisse für das Alter oder Verwandte,
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