Ein Ballnachtstraum
Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn sie sich nicht bewegte, würde man sie vielleicht für eine flämische Prägetapete halten, hoffte sie.
Plötzlich erhob sich ein aufgeregtes Tuscheln unter den älteren Damen in ihrer Nähe. Lady Heaton sprang für ihr Alter überraschend flink von ihrem zierlichen Fauteuil auf, ihre feine, blaugeäderte Hand flog an ihr Herz. „Er ist hier. Du liebe Güte, er ist gekommen. Mein lieber Junge will mich damit überraschen.“
Eloise folgte ihrem Blick und entdeckte einen dicklichen jungen Mann, der mit etwas schwerfälligen Schritten den Ballsaal durchquerte. Es war ihr unbegreiflich, wie dieser plumpe, ein wenig unbeholfene Mann eine solche Aufregung unter den älteren Damen verursachen konnte.
„Es ist Thomas“, rief eine von Lady Heatons unverheirateten Schwestern und klatschte begeistert in die Hände. „Oh Gott, wo ist nur Thalia? Sie wird außer sich vor Freude sein.“
Lady Heaton wandte sich mit glänzenden Augen an Eloise. „Hätten Sie die Güte, Thalia zu suchen, Miss Goodwin? Ich könnte schwören, sie soeben noch mit meinem Bruder auf dem Tanzparkett gesehen zu haben.“
Auch Eloise hätte das beschwören können. Bisher hatte Thalia noch keinen einzigen Fauxpas begangen, hatte sich von einigen wohlerzogenen jungen Herren zum Tanz führen und wieder zu ihrem Platz begleiten lassen. Und jetzt, mitten in einem ländlichen Reigen schien sie sich in Luft aufgelöst zu haben.
Es bestand kein Grund zur Sorge. Vermutlich hatte sie sich nur entfernt, um sich ein Glas Limonade zu holen oder mit einer Freundin zu plaudern oder sich frisch zu machen. Es gab keinerlei Anlass zur Befürchtung, die leidige Geschichte könne sich wiederholen.
„Wo kann sie nur sein?“, fragte Lady Heaton ratlos, die nur Augen für ihren geliebten Sohn hatte, der von einigen Bekannten aufgehalten und begrüßt wurde.
Nein, es bestand kein Grund zur Sorge.
„Vielleicht ist sie mit Lady Woodbridge auf die Terrasse gegangen, um ein Glas Limonade zu trinken“, meinte Eloise und drängte sich mit ihren steifen, hinderlichen Röcken durch die Stuhlreihe. „Ich mache mich auf die Suche nach ihr.“
„Lady Woodbridge hat mich noch gar nicht begrüßt“, meldete sich Lady Heatons Schwester leicht gekränkt zu Wort. „Sie hätte sich getrost nach meinem Befinden erkundigen können.“
Sobald Eloise den Ballsaal verlassen hatte, stürmte sie los, kein leichtes Unterfangen in dem schweren Brokatrock, der an ihr hing wie Blei. Kein Wunder, dass Thalias Urgroßmutter ihr Leben in diesem Kleid ausgehaucht hatte, es war ein Folterinstrument.
Sie hastete einen Seitenflur entlang und prallte prompt mit dem arroganten Diener zusammen, der sie vor einer Weile beleidigt hatte. „Sieh mal einer an, wenn das nicht schon wieder Queen Elizabeths Geist ist, der hier herumspukt“, bemerkte er spöttisch.
Eloise packte ihn an den Schößen seiner Livree. „Helfen Sie mir, Miss Thalia Thornton zu finden, oder ich verpetze Sie.“
„Weswegen denn?“
„Sie schütten ständig den restlichen Champagner in sich hinein, wenn Sie die halb leeren Gläser einsammeln.“
Er entriss ihr seine Frackschöße. „Woher wissen Sie das?“
„Weil Sie ein Diener sind, deshalb weiß ich es, und weil ich Sie dabei beobachtet habe.“
„Vor ein paar Minuten ist sie in den Garten gegangen, glaube ich“, gab er widerstrebend Auskunft.
„Allein?“
„Das verrate ich Ihnen nicht“, erklärte er und verengte die Augen. „Es sei denn, Sie lassen etwas dafür springen.“
„Ich denke nicht daran“, fauchte sie und drängte sich an ihm vorbei.
„Waidmannsheil“, rief er ihr mit einem derben Lachen nach.
Drake stand an eine Säule gelehnt und blickte zerstreut einen schwach erhellten Korridor entlang. In der Ferne nahm er einen Tumult wahr, dem er keine Aufmerksamkeit schenkte, da er sich mit einem Bekannten unterhielt. Er hatte den Ball nur besucht, weil seine Schwester Emma ihn um seine Begleitung gebeten hatte, da offenbar keiner seiner Brüder abkömmlich war.
Er hätte es vorgezogen, einen weiteren Abend mit Eloise zu verbringen. Nach letzter Nacht wähnte er sich seinem Ziel nahe, wollte ihr aber den Eindruck vermitteln, sie fälle ihre Entscheidung aus eigenen Stücken. Aber letztlich war es nur eine Frage der Zeit.
„Aus Elba gibt es derzeit wenig zu berichten“, sagte sein graumelierter Gesprächspartner. „Napoleon empfängt nach wie vor einige Besucher. Das einzig Merkwürdige ist vielleicht,
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