Ein Band aus Wasser
kleinen, schmalen Tisch. Er blätterte durch die vergilbten Seiten aus Büttenpapier. » Ich glaube, sie ist eine Art Kraftverstärker, ganz egal, ob es sich dabei um die Kraft des Lebens handelt, die Kraft der Magie, der Natur oder um die Kraft, die etwas wachsen lässt.«
» Für sich genommen ist sie also gar kein Jungbrunnen?«
» Könnte schon sein«, erwiderte Daedalus. » Aber das glaube ich nicht. Ich glaube, sie hat uns nur Kraft geliehen, um unser Leben zu verlängern. Und wir müssen sie wiederfinden, wenn wir sonst noch jemanden unsterblich machen wollen. Doch auch ohne sie können wir viel erreichen. Ich kann dir beibringen, wie man aus anderen Dingen Kraft schöpft, und wenn wir dann erst die Quelle ausfindig gemacht haben, wirst du bereit sein.«
Das klang genau nach dem, was ich wollte. » Aus welchen anderen Dingen?« Ich stellte mir kleine tote Tiere vor und wusste, dass ich so etwas nie tun könnte.
Daedalus sah mich mit funkelnden Augen an. » Aus fast allem«, sagte er mit milder Stimme. » Aus Feuer, Wasser, Pflanzen und aus dem Erdboden selbst. Aus Tieren. Von Menschen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde kam mir Cerises Bild in den Sinn, wie sie tot auf dem Boden lag, gefolgt von einem Bild von mir selbst. Ertrunken. War es das, was mir zustoßen würde? Würde jemand versuchen, mich umzubringen, um meine Kräfte zu nutzen? Aber das ergab doch keinen Sinn. Allein in der Treize gab es so viele, die stärker waren als ich und jemandem, der ihre Kräfte an sich reißen wollte, weit mehr nutzen würden.
Allerdings waren sie unsterblich.
Oh.
» Verstehe«, sagte ich nickend. Ich hatte mich gefragt, ob ich ihm von dem schrecklichen, berauschenden Zauber erzählen sollte, den ich an den Nachbarskatzen ausprobiert hatte, und entschied mich dagegen. Ich wollte ihn nicht glauben machen, ich sei böser, als ich es eigentlich war. Ich meine, ich war natürlich überhaupt nicht böse, aber wenn ich ihm von dem Zauber erzählte, würde er wahrscheinlich einen falschen Eindruck bekommen.
» Ich bin nicht sicher, ob du es wirklich verstehst«, sagte Daedalus, » aber ich kann es dir zeigen. Ich kann einen einfachen Zauber mit dir durchgehen, um dir beizubringen, wie man etwas anderem die Kraft nimmt.«
» Du meinst, ihm die Kraft vorübergehend entzieht?« Was genau dem entsprach, was ich mit den Katzen gemacht hatte. Ich hatte mir ihre Kraft geliehen.
» Nein. Ihm die Kraft wirklich nimmt. Um sie zu behalten.«
Bitte, Déesse, lass ihn kein lebendiges Tier holen, betete ich und fühlte, wie sich mein Magen zusammenzog.
Doch stattdessen öffnete er eine Holzschachtel, die im Inneren schwarz angemalt und mit einem silbernen D versehen war, was etwas prosaisch anmutete. Ich meine, ich hätte einen weiteren Drudenfuß oder eine Rune oder sonst irgendein Symbol erwartet anstatt einfach nur sein Initial. Er holte einen eigroßen Brocken Rauchquarz hervor, ungeschliffen, nichts als ein unregelmäßiges Stück Kristall.
» Alles verfügt über Energie, Clio«, sagte er sanft, während er den Kristall in der ausgestreckten Hand hielt. Sollte ich ihn jetzt nehmen, oder wie? Ich hatte keine Ahnung.
» Alles schwingt gemäß seinem eigenen Wesen. Wenn du die Schwingungen des Kristalls auf deine eigenen abstimmst, kannst du sie dir einverleiben. Dann wird er ein Teil von dir und seine Kräfte stehen dir zur Verfügung.«
Ein Gefühl kribbeliger Aufregung regte sich unter all meiner Nervosität und Anspannung. Ich befeuchtete mir die Lippen und betrachtete den Kristall.
» Und wie geht das?«, fragte ich.
» Ce n’est pas facile«, erwiderte er, wobei er unerwartet ins Französische wechselte.
» Oui, je comprends«, sagte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst antworten sollte.
Er nickte kurz, dann deutete er auf meine Tasche, an die ich mich immer noch wie an eine Rettungsleine klammerte. » Leg das und alle elektronischen Geräte ab, die du eventuell bei dir trägst. Handy, Digitaluhr oder … wie heißt das noch … Ei-Irgendwas?«
Ich legte meine Tasche vor die Tür des kleinen geheimen Raums. Ich war mir absolut darüber im Klaren, dass sich mein Handy darin befand und ich nun ganz allein und unerreichbar war. Nach einem Wink von Daedalus schlug die kleine Tür lautlos zu. Ich konnte ihre Umrisse gerade noch auf der schwarzen Wand erkennen und dachte: Oh Schitte. Mein Herz begann so laut zu klopfen, dass ich mich fragte, ob Daedalus es wohl hören konnte.
Mein ganzes Leben hatte ich mit
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