Ein Berliner Junge
von einem, der dann bald selbst Rektor wurde und der es herzlich gut meinte, aber eine der gefährlichsten Schwächen hatte, deren sich ein Lehrer schuldig machen kann: er ärgerte sich und ließ seinen Ärger merken. Wenn er in seinem Jähzorn einige ergriff und durchprügelte, so war es Ehrensache, daß niemand dabei auch nur eine Miene verzog, was ihn höchst erboste. Sank er dann völlig erschöpft auf seinen Stuhl nieder, so hatten wir das Gefühl des Triumphes. Wir hatten ein Paar rotköpfige Brüder in der Klasse, die Heldenmütiges im Ertragen von Schmerzen leisteten. Man mußte an den alten Römer denken, der, ohne das Gesicht zu verziehen, die Hand ins Feuer steckte. Von der soviel beklagten Verrohung durch den Stock haben wir nichts gemerkt. Einem gesunden, übermütigen Jungen schien es ganz in der Ordnung, wenn er seine Ungezogenheiten mit ein paar Hieben »abmachen« mußte. Eine Entfremdung zum Lehrer trat dadurch weniger ein als durch bitteres Schelten oder durch langes Nachsitzen. Namentlich das letztere wurde immer als etwas »Unfaires« (Unvornehmes) empfunden, weil dadurch Dinge, die in der Schule vorkamen und in der Schule ausgetragen werden sollten, ihre Wirkungen auf das Haus erstreckten. Man kam nicht zur rechten Zeit zum Mittagessen. Die Mutter und auch der Vater, der vielleicht nur in dieser einen Stunde mit den Kindern zusammen war und der an dem Kampf mit den eigenen Sorgen wahrlich genug zu tragen hatte, mußten dann darunter leiden. Noch schlimmer, direkt als Armutszeugnis des Lehrers und der Schule, wurde ein Brief an die Eltern empfunden - während, wie gesagt, der Stock in geeigneten Fällen als etwas durchaus Natürliches erschien.
Der einzige Schlag, den ich in der ersten Klasse erhielt, war allerdings nicht gerechtfertigt - wenigstens schien es mir so. Es war in der Gesangstunde, die wir in der Aula hatten. Ich war wie gewöhnlich aus der Schar der Sänger ausgeschieden, mußte aber auf der hintersten Bank den Übungen beiwohnen, die mir begreiflicherweise furchtbar langweilig waren. Wie sollte ich diese Stunde zubringen? Ich war etwa zehn oder elf Jahre alt. Da beschloß ich eines Morgens, einfach meine geliebten Bleisoldaten mitzubringen. Und während der Lehrer sich quälte, packte ich meine »Bayern« und »Turkos« aus und stellte sie in Schlachtordnung auf. Für die Schüler der letzten Bänke war natürlich diese meine Aufstellung der feindlichen Heere viel interessanter als die Erklärung der Noten; es entstand bei einer Reihe nach der anderen ein allgemeiner Frontwechsel. Ich merkte in meinem Eifer nichts davon, auch nicht, wie der Lehrer mit dem Stock herbeikam und, als er die Ursache der Abkehr von seinen Noten erkannte, mich durch einen Schlag auf den Rücken aus meinen Feldherrnträumen weckte und auf mein erstauntes Auffahren erklärte, das wäre doch unglaublich! Der Klassenerste, der ein gutes Beispiel geben solle usw. Es hat ziemlich lange gedauert, bis ich einsah, daß das wirklich nicht ging. Ich habe mich dann darauf beschränkt, ein Buch mitzunehmen, das ich für mich in diesen Stunden las. Gewiß war der Schlag überflüssig - der Lehrer hätte es mir auch so vorstellen können; aber ein Unglück war er auch nicht, und ich bin ihm darum gewiß nicht gram geworden!
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Stenograph
Als ich etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt war, las ich in dem Fenster eines Lokals in der Neuen Königstraße die Ankündigung: »Hier wird Stenographieunterricht erteilt.« Ich meldete mich und empfing nun vier Stunden Unterricht in der Rollerschen »Weltkurzschrift«. An diese Stunden habe ich oft mit großer Dankbarkeit gedacht. Von allen Fertigkeiten kommt die Stenographie dem Schüler, dem Lehrer, dem Redner, dem Schriftsteller besonders zugute.
Welches System das beste ist, können natürlich nur solche entscheiden, die alle Systeme gleichmäßig beherrschen. Bei den allermeisten wird es wie bei mir eine Sache des Zufalls sein, zu welchem System sie gelangen. Jedenfalls kann ich nur jedem raten: Lerne Stenographie, aber so, daß du sie auch anwenden kannst. Es lohnt sich.
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Bei Großmutter
Ich sehe mich noch in der Rosenthaler Straße an dem Hofbrunnen stehen, etwa sieben Jahre alt, als eine Nachbarin, die Wasser holte, zu mir sagte: »Na, Kleiner, du freust dich wohl auch, daß Ferien sind?« Aber in meinem siebenjährigen Lerneifer lehnte ich ab: »Nein, gar nicht; ich gehe zu gern in die Schule.« Später hat sich diese erste
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