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Ein Berliner Junge

Ein Berliner Junge

Titel: Ein Berliner Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Damaschke
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Klavier und übte. Aber dieser Schachzug erweckte die gegenteilige Wirkung: »Junge, was ist dir denn begegnet, daß du dich einmal von selbst ans Klavier setzt?« Auch später, als ich Geige, Klavier, Orgel spielen mußte oder vielmehr sollte, blieb die Musik mir ein verschlossenes Gebiet, und ich war immer erst zufrieden, wenn ich als »völlig unfähig« befreit wurde. An Vokalmusik habe ich immer Freude gehabt, wenn ich den Text verstand und die Melodie mir gefühlsmäßig tieferes Verständnis für den Text erschloß. Bei größerer Instrumentalmusik aber, die ich ja vielfach über mich ergehen lassen mußte, habe ich entweder meine Sinne verschlossen, oder ich habe versucht, den Tönen Vorstellungen zu unterlegen und durch diesen Gedankeninhalt die Macht der Töne mir gleichsam zu übersetzen. Den größten Eindruck von allen Musikwerken habe ich von Bachs »Matthäuspassion« empfangen; aber ich bin mehr als fünfzig Jahre alt geworden, ehe ich den Mut gewann, es einmal mit einem so großen Tonwerk zu versuchen.
     
     
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Der erste Schriftsteller
     
    Als ich in der zweiten Klasse der 8. Gemeindeschule war, also etwa 8 1/2 Jahre alt, sah ich den ersten Schriftsteller. Einer unserer Lehrer hatte ein kleines Heft geschrieben, das wir uns anschaffen mußten. Den Titel weiß ich nicht mehr. Es enthielt Übungssätze mit gleichlautenden Wörtern nach dem bekannten Beispiel von: »Heute trug ein Heide Häute über die Heide ... oder: »Alle Aale wurden in der Allee von einer Ahle durchstochen.« Ich entsinne mich noch, mit welcher Ehrfurcht wir den Mann betrachteten, von dem etwas im Druck erschienen war. Später hat sich bei mir das Gefühl vor »Tintenfischen« etwas gewandelt.
     
     
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Eine wichtige Entscheidung
     
    Als wir im Herbst 1876 aus der Rosenthaler Straße verzogen, mußte ich mich in der 8. Gemeindeschule abmelden. Da ließ Rektor Bielefeld meinen Vater zu sich kommen. Er legte ihm nahe, mich trotz des Wohnungswechsels in der Schule zu lassen. Ich hätte noch 4 1/2 Jahre Schulpflicht vor mir. Es gäbe eine Bestimmung, nach der Schüler, die mit ihrem zwölften Jahre das Pensum der Gemeindeschule erreicht hätten, auf Kosten der Stadt eine höhere Schule besuchen könnten. Das wäre für mich das Gegebene. Ich hätte dann jede Möglichkeit des sozialen Aufstiegs. Meine Eltern überlegten. Sie dachten an den ältesten Sohn der ältesten Schwester meiner Mutter, die einen Förster geheiratet hatte. Man hatte den fähigen Jungen mit großen Opfern Offizier werden lassen. Er galt als begabt; er war beliebt - mußte aber bald wegen Schulden seinen Abschied nehmen. Das war etwa im Jahre 1865. In seiner Verzweiflung erbat er von meiner Mutter Geld, damit er sich einen Revolver kaufen könne, um sich zu erschießen. Mutter sah den hübschen, begabten Jungen, den sie lieb hatte, in ihrer ernsten Art an und sagte: »Das Geld für den Revolver täte mir leid; aber ein Stück Waschleine will ich dir borgen; damit schaffst du es ja auch, wenn du wirklich so feige sein willst.« Diese unerwartete Antwort brachte ihn zur Besinnung. Als der Krieg 1866 ausbrach, trat er als gemeiner Soldat ein, wurde auf dem Schlachtfeld von Königgrätz wegen seiner Tapferkeit wieder zum Offizier befördert, starb aber wenige Monate danach in Prag an der Cholera. Mutter erzählte manchmal von ihm und von seinen Vorwürfen gegen seine Eltern: »Ich weiß, sie haben gedarbt, damit ich Offizier werden könne; aber es war ein Unrecht. Man muß jemand nicht in Kreise hineinbringen, in denen er dann nicht als gleichberechtigt verkehren kann. Ich mußte natürlich Schulden machen - das war das jämmerliche, aber notwendige Ende.« Nun hatte mein armer Vetter gewiß nicht recht. Man kann in jeder Gesellschaft eigene Wege gehen. Aber ein Stück Wahrheit lag doch in der Anklage dieses zerbrochenen Lebens. Und dann - was war gewonnen, wenn selbst mein Unterricht frei war auf der höheren Schule! Bücher, Kleidung usw. mußten ja doch noch selbst aufgebracht werden. Entscheidend blieb die Gefahr der Straße. Ich hätte täglich den Schulweg vom Königstor durch die Neue Königstraße über den Alexanderplatz, durch die Münz-, Weinmeister- und Gipsstraße machen müssen. Das sind außerordentlich - auch von allerlei zweifelhaften Elementen - belebte Straßen, und die Eltern fürchteten wohl mit Recht, ihren zehnjährigen Jungen den Gefahren eines so weiten Weges auszusetzen! So ist es denn unterblieben, und ich habe nicht den

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