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Ein Berliner Junge

Ein Berliner Junge

Titel: Ein Berliner Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Damaschke
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erfuhr, begraben.
     
     
     
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Vater und Mutter
     
    Den Erinnerungen an meine Kindheit mag ein abschließendes Wort über Vater und Mutter folgen. »Waren sie glücklich? - Wer ist glücklich?« Ich habe von Stunden gemeinsamer, erfolgreicher Arbeit und Hoffnung erzählt, und zuletzt ist ja doch gemeinsame Arbeit und gemeinsames Hoffen auf die Dauer das einzige Band, das Menschen selbst in Liebe zu binden vermag. Auch an schweren und schwersten Stunden hat es nicht gefehlt. Not und Sorge machen wund und reizbar, und Vater war immer eine überaus leidenschaftliche Natur. Ich kann nie am Goldfischteich im Tiergarten vorübergehen, ohne an manche Stunden zu denken, in denen ich hier sorglos spielte und nur erschrocken aufsah, wenn ich Mutters stilles Weinen hörte, die mich mitten aus der Arbeit hierhergeführt hatte und nun auf einer Bank schluchzend saß. Auf meine Fragen antwortete sie nicht, sondern strich nur zitternd mein Haar. Das mögen wohl Ausklänge dunkler Stunden gewesen sein. Aber sie waren in der Rosenthaler Straße trotz aller Not doch selten.
    Viel schwerer wurden die Verhältnisse, als Vater die Werkstatt aufgab und bald auch die Hobelbank verkaufen mußte, weil die Arbeit auf ihr nicht so viel einbrachte, wie die Miete für ihren Stand verlangte. Da habe ich, freilich in jener Zeit unbewußt, den geradezu entscheidenden Wert eines Gartens auch für das Familienleben im Alter erkannt. Als wir in Neu-Weißensee unseren Garten besaßen, fand Vater erfreuliche, fruchtbare Arbeit in Hülle und Fülle - aber was wollte er tun in der engen Stadtwohnung von Zimmer und Küche? Es war eine Verdammnis zum Müßiggang, die ihn je länger je mehr quälen und reizen mußte. Und wie Mutter darunter litt, zeigt ihr bitteres Wort, das ich allerdings zunächst nicht verstand: »Junge, merke dir für dein ganzes Leben, gib nie deine Arbeit aus der Hand! Keine Frau kann einen Mann achten und lieben, der den ganzen Tag nichts tut!« Es war natürlich eine vorübergehende Gefühlsaufwallung; aber wer sich die Zusammenhänge klarmacht, erkennt, aus welchen Tiefen ein solch gefährliches Gefühl aufwallen kann und welch unendlicher Segen eine Heimstätte mit seiner Haus- und Garten-Arbeitsmöglichkeit für den Lebensabend Unzähligen bieten würde!
    Wir Kinder durften bei Tisch nie über das Essen sprechen, und wer von uns etwa versuchte, das ihm Aufgefüllte ganz oder zum Teil stehenzulassen, der lernte, durch Erfahrung gewitzigt, bald das Abessen, wenn er den Rest dann am Abend oder noch am nächsten Tage vorgesetzt erhielt, bis alles von ihm aufgegessen worden war. Das einzige tadelnde Wort hörten wir von Vater bei Tisch, wenn ihm das Essen nicht heiß genug war. Ob dieses Verzehren ganz heißer Speisen die Ursache seines Magenleidens wurde oder ob schon eine Anlage zu diesem in ihm das Verlangen nach besonders heißen Speisen weckte, weiß ich nicht. Nach mancherlei Behandlungen in seiner späteren Krankheit blieb kein Zweifel: sein Leiden war Magenkrebs. Auch hier zeigte sich seine ungeheure Willenskraft. Der Arzt, der ihn monatelang behandelte, sagte mir einst: »Ich habe Ihren Vater heute auf der Belle-Alliance-Brücke getroffen; ich dachte, ich sehe ein Gespenst. Wissenschaftlich muß er schon lange tot sein.« Aus dieser letzten Krankheit Vaters steigt eine Erinnerung immer wieder in mir quälend auf. Ich hatte ihm Eisbonbons mitgebracht und war hocherfreut, als er mir sagte: »Junge, das hat mir wohlgetan; bringe mir doch von diesen morgen noch ein paar!« Nun hatte ich sie aber von weither mitgebracht. Am nächsten Tag hatte ich wichtige Angelegenheiten (was man im Dienst des Tages für wichtig hält!) in einer anderen Stadtgegend zu erledigen. Ich sah mich hier vergeblich nach dieser Art Eisbonbons um und nahm endlich andere von noch besserer Qualität, wie man mir sagte. Vater war etwas enttäuscht. Es war gewiß nur Einbildung, daß er sich von denen, die ihm gestern wohlgetan, etwas Besonderes versprach; aber diese Einbildung hätte ihm eine glückliche Minute bereitet. Gutmachen konnte ich es nicht, denn wenige Tage darauf erlöste ihn der Tod - am 30. Juni 1890.
    Nun war ich mit Mutter allein. Ich dachte oft darüber nach, wie ich ihr Freude bereiten und etwas von dem, was mir in jener Zeit schön und groß zu sein schien, mitteilen könnte. Aber sie lehnte in den meisten Fällen müde ab: »Früher hätte es mir vielleicht auch Freude gemacht - aber jetzt - laß mich, das Leben macht so

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