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Ein Berliner Junge

Ein Berliner Junge

Titel: Ein Berliner Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Damaschke
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Wagen, die er für den Marktbesuch brauchte, hatte er alles einem Gesellen verschrieben. Der war nun von Rechts wegen der Besitzer, und der Meister und seine Frau und die einzige Tochter waren Angestellte dieses Gesellen. Er war in der Regel gutmütig; aber wenn er getrunken hatte, konnte er außerordentlich brutal sein. Diese merkwürdigen Menschen wohnten ziemlich lange bei uns. Sie hatten für einen dreizehnjährigen Jungen mancherlei Vorzüge. Zunächst zwei große Hunde, Mutter und Tochter: Boxe und Nunne. Mit ihnen, namentlich mit Nunne, schloß ich enge Freundschaft. Aber Kinder sind merkwürdig grausam. Im Winter, wenn die große, doppelnasige Nunne kam, um mit mir zu spielen, und ich einen Schneeball hob und Nunne in freudiger Erwartung sich zum Sprung zusammenkauerte - dann habe ich manchesmal den Schneeball geworfen - nicht, damit sie danach springen könnte, sondern auf ihre erwartungsvoll zitternde Doppelnase. Dann schüttelte sie sich mit vorwurfsvollem Blick, wedelte fragend mit ihrem Schwanzstummel und zog enttäuscht von dannen. Aber in der nächsten Minute war sie wieder, großmütig vergebend, in alter Liebe um mich herum!
    R.'s schlachteten in der Woche regelmäßig ein Schwein. Dabei zu helfen, »war ehrenvoll und war Gewinn«. Der Gewinn bestand im Blut des Schweines, das als besonders gutes Düngemittel für unsere Obstbäume und Obststräucher galt. War Abendmarkt auf dem Berliner Gartenplatz, wurde natürlich freudig mitgefahren. Einmal das Fahren an sich, dann des Abends durch diese Marktbuden sich winden, die Vorbeigehenden, mit den geübten Augen der Marktfrau gesehen, kritisieren zu hören, - das alles war buntes Leben genug. Später zog die Familie noch weiter hinaus in eine alleinstehende Mühle, und endlich fand sich auch die einzig mögliche Lösung, das heißt, der Gehilfe heiratete die Tochter, so daß in diese Verhältnisse ein Stück natürlichen Rechtes kam.
    Eine andere Familie war auch in den »Gründerjahren« gescheitert. Der kleine, stille Mann war den Tag über in Berlin in irgendeiner untergeordneten kaufmännischen Stellung. Die Frau, die aus sehr gutem Hause stammte, aber tat nichts, und zwar absichtlich nichts: »Mein Mann ist schuld an unserer Armut. Hätte er nicht die Bürgschaft für seinen Freund geleistet, so säßen wir nicht hier. Nun mag er zusehen!« Umsonst war alles Zureden meiner Mutter, der Hinweis auf die reizenden drei kleinen Kinder, die zu verkommen drohten. Die Frau verharrte im bitteren Schweigen: sie wusch weder sich, noch die Kinder, noch irgendwelche Wäsche; sie nähte nicht, sie kochte nicht. Ich weiß nicht, was aus dieser Familie geworden ist. Sie zog bald fort.
    Ach, wer im »sicheren« Brot und »ordentlichen« Heim sitzt, der hat oft gar keine Ahnung von dem, was das Meer der Großstadt auswirft - verlorenes Strandgut!
     
     
    * * *
     

Unbekannte Freuden
     
    Für den Mietkasernenjungen war es ein neues Leben, das Neu-Weißensee erschloß. Zum erstenmal ein Garten! Eine unserer Lauben war mit wildem Hopfen bepflanzt. Die großen Blüten waren wunderschön, und ich habe mich oft gewundert, daß ich diese Pflanze nie wieder als lebende Wand gefunden habe. Öffnete man eine Seitentür des Gartens, so stand man auf freiem Felde. Nun begann ich auch, mich in der Natur umzusehen. Ich sammelte Schmetterlinge, wobei es mir nur Schwierigkeiten machte, sie schnell und leicht zu töten, da mir die Betäubungsmittel der Apotheke als zu teuer nicht zur Verfügung standen. Hier hatte ich auch zum erstenmal selber Haustiere, so eine Zeitlang einen kleinen, schwarzen Hammel. Er folgte mir wie ein Hund. Als er im Herbst aus Mangel an Futter geschlachtet werden sollte, erhob ich heftigen Einspruch. Vergeblich zeigte mir Mutter meine Torheit, daß ihn dann eben andere verzehren würden. Das Gefühl besaß in jenen glücklichen Tagen noch mehr Gewalt als der Verstand, und so brachte ich ihn, der mir vertrauend folgte, wohl über eine Stunde weit bis Französisch-Buchholz, um ihn dort seinen künftigen Verzehrern zu überliefern.
    Mein Liebling aber war unser kleiner Hund »Ali«. Kam ich aus der Schule, so kannte seine Freude keine Grenzen. Einmal las ich irgendwo, es sei für Hunde heilsam, das Fell zu lockern. So hielt ich es nun für eine Freundespflicht, Ali im Genick zu ergreifen und ihn möglichst lange in der Schwebe zu halten, weil dadurch das Fell am sichersten die nötige Lockerung erfahre. Ich war höchst erstaunt, daß Ali diese meine Liebe

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