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Ein Berliner Junge

Ein Berliner Junge

Titel: Ein Berliner Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Damaschke
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durchaus nicht zu würdigen schien; aber ich tröstete mich mit den alten Sprüchen der Weisheit: Man müsse oft Unerzogene zu ihrem Heile zwingen; im Leiden erkenne man selber am wenigsten die Heilmittel! So gestaltete sich unsere Freundschaft sehr merkwürdig. Wenn ich in Bewegung war, so war er freudig um mich herum, sobald wir aber das Zimmer betraten, erstrebte er mit höchster Geschwindigkeit sein sicherstes Asyl unter Mutters Röcken, unter denen er dann triumphierend hervorsah. Am liebsten begleitete er mich auf meinen Radtouren. Vor 45 Jahren gab es Fahrräder, bei denen das erste Rad ganz groß, das zweite ganz klein war. Sie waren viel schwieriger zu fahren als die jetzigen und vor allem viel gefährlicher. Ich hatte nicht geruht, bis ich ein solches Rad bekam. Die Chaussee gab freie Bahn. Bei meiner Kurzsichtigkeit war die Sache nicht ganz ungefährlich; aber nachdem ich in den ersten Wochen, wie Mutter feststellte, keinen Tag ohne blauen Flecken war, konnte ich doch bald so sicher fahren, daß ich einmal beschloß, von Weißensee nach Lehnin zu radeln. In jener Zeit waren für den Verkehr in den Straßen Berlins nur solche Verkehrsmittel erlaubt, auf denen man auch beim Stillstehen sicher verweilen konnte. So war der Gebrauch des Dreirades erlaubt, der des Zweirades grundsätzlich untersagt. Ich brach an einem Sommermorgen früh um vier Uhr auf. Die Straßen Berlins lagen wie ausgestorben da, und die leeren, weiten Asphaltbahnen bildeten eine Versuchung, der man nicht widerstehen konnte. Aber jeder Schutzmann fühlte sich verpflichtet, scheltend hinterherzulaufen. Als ich an jenem Abend in Lehnin ankam, bluteten meine Hände, so daß ich für einen Teil der Rückfahrt die Benutzung der Eisenbahn vorzog.
     
     
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Torheiten
     
    Zu welchen Torheiten der leichte Sinn der Jugend verführt, ist unglaublich. So trieben wir draußen eine Zeitlang leidenschaftlich »Speerwerfen«. Man warf einen ziemlich langen, schweren Holzstab mit scharfer eiserner Spitze auf den Gegner. Dieser durfte dem Speer nicht ausweichen, sondern ihn lediglich mit einem kurzen Holzschwert unmittelbar vor dem Gesicht zur Seite schlagen. Wir hatten darin eine große Gewandtheit. Wäre aber einmal das Abschlagen mißlungen, so konnte der Speer das Gesicht verunstalten oder das Auge gefährden.
    Zu den gefährlichsten Torheiten verleitete mich die Eisenbahnbrücke in der Prenzlauer Allee kurz vor dem Chausseehaus. Die Allee führte über ein ziemlich hohes Eisenbahngleis. Ein schmales Holzgeländer schützte gegen den Absturz. Der an sich wahrhaftig nicht kurze Weg wurde dadurch nicht kürzer, aber es bereitete mir ein eigenes Vergnügen, mit Mühe auf dieses Geländer zu klettern und dann auf dem schmalen Rücken des Geländers die Brücke zu überschreiten. Jeder Fehltritt mußte den Absturz auf die Eisenbahnschienen bedeuten. Es war unverantwortlich, weil man das erste Gebot aller Lebensweisheit übertrat, daß die Höhe des Einsatzes der Möglichkeit des Gewinnes entsprechen müsse! Ich setzte Gesundheit, vielleicht das Leben ein - zu gewinnen war gar nichts, nicht einmal das billige Staunen von Kameraden; sie waren ja in der Regel nicht dabei.
     
     
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Schulnomaden
     
    Welche Rolle spielte die Schule in meinem Leben? Es war selbstverständlich, daß für mich nur die Volksschule, die Gemeindeschule in Frage kam. Diese mußte sich dem schnellen Wachstum der neuen Kaiserstadt erst anpassen. Und deshalb mußte die städtische Verwaltung häufig auf Privatschulen zurückgreifen. Auch ich wurde auf Kosten der Stadt am 1. Oktober 1871 der Krupkeschen Privatschule in der Weinmeisterstraße überwiesen. Dort war ich zwei und ein halbes Jahr. Dann wurde ein Platz frei in der 26. Gemeindeschule in der Nähe der Artilleriestraße, die ich im Sommer 1874 besuchte. Endlich konnte ich der Schule überwiesen werden, zu der ich »von Rechts wegen« gehörte, der 8. Gemeindeschule in der Gipsstraße. So war ich, ohne daß wir einmal umzogen, schon herumgestoßen. Jeder Schulwechsel ist ein Schaden für ein Kind. Dazu kam auch das Schieben in die einzelnen Klassen - je nachdem Platz war. Ich habe ja später selbst manchmal in Lehrerkonferenzen gesehen, welchen Einfluß solche Äußerlichkeiten auf Versetzung und Nichtversetzung haben können!
    Die alten Schulzeugnisse liegen vor mir. Ich sehe daraus, daß ich z. B. in der dritten und in der zweiten Klasse nur je ein halbes Jahr gewesen bin, während die Vorschrift einen

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