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Ein Berliner Junge

Ein Berliner Junge

Titel: Ein Berliner Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adolf Damaschke
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Freunde wurden bald die Bücher, und sie sind es bis heut geblieben. Als Kind las ich, was mir in die Hände fiel. Es gab in meiner Jugend, ohne daß man wohl den Namen schon kannte, auch Schundliteratur. Es waren kleine Hefte mit buntem Umschlag und möglichst aufreizendem Titel - zumeist unmögliche Geschichten von Indianern und Seeräubern. Am Geburtstage oder zu Weihnachten, wenn morgens beschert wurde, sah ich, noch im Bett liegend, den Geburtstagstisch, den Vater und Mutter immer so wunderschön aufgebaut hatten - mit den acht oder neun Lichtern, die auf ihm brannten - und darunter ausgebreitet, was sie mir geben konnten, - aber ich griff dann immer zuerst nach dem Buche und vergaß alles andere. Und oft hat mein älterer Bruder mir zuflüstern müssen: »Laß doch einmal das Buch; freu' dich auch über die anderen Sachen!« Aus dieser Liebe für das Lesen ist mir eine Erinnerung von ganz eigener Art lebendig geblieben. Auf irgendeine Weise waren in unseren Besitz dreißig Hefte eines Kolportageromans gekommen: »Rinaldo Rinaldini, der große Räuberhauptmann«. Die Eltern hatten verständigerweise die Hefte in irgendeine Kiste geworfen. Ich versuchte nun, an diesen in meinen Augen unerschöpflichen Lesevorrat heranzukommen. Meine Bitte wurde abgeschlagen; aber ich kam immer wieder, bat, versprach, schmeichelte, bis endlich einmal Vater und Mutter sagten: »Nun, dann nimm sie; dann läßt du uns wenigstens in Ruhe!« Ich weiß noch heute: diese Genehmigung berührte mich schmerzlich. Es tat mir weh, daß die Eltern nachgaben. Für eine Ohrfeige wäre ich ihnen dankbar geblieben. So nahm ich die Hefte widerwillig. Ich habe sie nur durchgeblättert ohne Freude. Es ist etwas Eigenes um Bitten der Kinder. Sie haben in den meisten Fällen ein sehr feines Gefühl dafür, ob man ihnen mit dem Versagen oder Gewähren einen Dienst erweist. Und viele Bitten entspringen nur dem Wunsche nach einer Machtprobe, oder sie sind ohne jede bewußte klare Zielsetzung. Eltern, die zu oft nachgeben, »weil sie die Kinder so sehr liebhaben«, verlieren gerade dadurch am sichersten die Achtung, die die Grundlage jeder wahren und dauernden Liebe allein sein kann.
     
     
    * * *
     

Der Bettkasten
     
    Unsere Wohnung im Hinterhaus bestand aus Stube, Kammer und Küche. Die Kammer wurde »natürlich« vermietet. Wir begnügten uns mit der einen Stube. Sie konnte unsere Betten nicht fassen. So habe ich denn in den ersten zehn Jahren meines Lebens nie ein Bett gehabt. Ich schlief in einem »Bettkasten«, der auf Rollen lief, abends unter dem Bett hervorgezogen und mit den Kissen, die am Tage auf dem Bett lagen, zurechtgemacht wurde. Kinder haben eben kein Bett! Das war eine Sache, die selbstverständlich schien, weil man es nicht anders kannte. Nun war es in diesem Falle nicht gar so schlimm, weil man morgens und abends noch die geräumige Werkstatt zur Verfügung hatte. Als aber bei der letzten Friedenszählung am 2. Dezember 1910 in Klein-Berlin 41 968 Wohnungen festgestellt wurden, die nur ein einziges heizbares Zimmer aufwiesen, aber von fünf bis dreizehn Menschen verschiedenen Alters und Geschlechts dauernd bewohnt waren - da mußte jedem, der solche Verhältnisse überhaupt durchdenken konnte, ein Gefühl quälender Angst um die Zukunft unseres Volkes aufsteigen!
     
     
    * * *
     

Unser »möblierter Herr«
     
    In unserer Kammer wohnte jahrelang ein merkwürdiger Mensch. Er stammte aus einer der bekanntesten Familien Brandenburgs. Sein Vater soll in einer Nacht sein großes Gut im Trunk verspielt haben. Ich sah den verarmten Großgrundbesitzer einmal später in einer Mietwohnung des Ostens und habe den Mann scheu betrachtet, der so namenloses Unglück über die stille Frau, die bei ihm in dem armen Zimmer saß, und über die Kinder gebracht hat. Der jüngste Sohn, der bei uns wohnte, hatte den glühenden Wunsch, wenigstens seine Schulbildung abzuschließen. Er trug stets einen langen, abgetragenen Schlafanzug, an dem Mutter manchmal heimlich flickte, damit er nicht ganz auseinanderfiel. Abends spielte er mit Vater oder mir Schach und aß dazu trockenes Brot, das er aus der Tasche seines Schlafrocks stückweise nahm. Mutter suchte irgendwelche Gelegenheit, ihn zum Mitessen zu bewegen; aber er war sehr scheu, und es gelang nicht immer. Er hätte gern den geringen Mietzins für die Kammer abverdient, indem er mir lateinischen Unterricht gab. Wir begannen auch damit. Aber wenn die anderen Jungen unten riefen, wurde es mir zu

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