Ein besonderer Junge
wenige Stunden, nachdem mir seineMutter ihr Begehren gestanden hatte, stürzte sich Iannis auf sie, als hätte er die Spannung gespürt, die zwischen uns entstanden war.
Ich hatte es eilig, ein wenig Abstand zu dem Geschehen zu bekommen. Trotz der Böen, die die Mauern der Villa soeben erschüttert hatten, beschloss ich, es sei Zeit, nach draußen zu gehen. Ich stieg hinauf zu Iannis und schlug ihm vor, sich anzuziehen: Wir würden Horville besichtigen.
Der Wind, der die Flaggen an der Mole knattern ließ, schleuderte uns Algenfasern und schneidend scharfe Sandkörner ins Gesicht. Um uns zu schützen, zog ich Iannis in eine der Gassen, die auf die Hauptstraße führten. Ich hatte es nicht dem Zufall überlassen, welche ich wählte: Es war die Passage, in der sich ein winziger Laden befand, den einer jener weißen Pater führte, die Afrika evangelisiert hatten. Sein verstaubter Vorraum war vollgestopft mit afrikanischen Kunstgegenständen, und als Kind dachte ich, dass der Missionar, sobald es Nacht war, in dem Durcheinander seiner Totems und Fetische die Hände über die hervorstehenden Hinterbacken und Brüste der Statuen wandern ließ. Mitten in dieser Rumpelkammer thronte ein zum Schirmständer umgearbeiteter Elefantenfuß, dessen lederne Haut noch mit Haaren übersät war. Warum hatte dieser alte, sanftmütige Mann eine solche Reliquie aufbewahrt? Ich stellte mir vor, wie sich die Jäger über den riesigen Kadaver beugten und den Fuß des Dickhäuters mit der Säge abtrennten.
Iannis verhielt sich wieder wie gewöhnlich, klebte an meinenSchritten wie ein Schatten, ruderte mit den Armen in der Luft und folgte mir in die Gasse, in der sich der stürmische Wind verfing. Ich erkannte sofort das Haus des weißen Paters, es sah noch genauso aus wie in meiner Erinnerung. Ein Bretterzaun verdeckte jetzt die Stelle des Ladenlokals, als läge ein Verbot über dem Ort. Ich hätte gerne ein Auge hineingeworfen und vielleicht mit einer der geheimnisvollen und bedrohlichen Masken einen Blick gewechselt.
Von den Villen am Strand abgeschirmt, schwächte sich der Wind in der Stadtmitte zur Brise ab. Die Geschäfte der Hauptstraße hatten ihre Fassaden erneuert, die Linien waren nüchterner, die Schaufenster größer. Iannis, der damit beschäftigt war, die Bewegung seiner Hände zu betrachten, als wäre zwischen der Welt und ihm eine Trennwand, schien an nichts interessiert zu sein. Das hinderte mich nicht, ihm jede Etappe unseres Weges zu erläutern und ihm in allen Einzelheiten die Erinnerungen zu erzählen, die damit verknüpft waren. Wir kamen am Rialto vorbei, dem einzigen Kino des Badeorts, auf dessen Holzsitzen unsere Hintern gelitten hatten. Nicht weit entfernt davon erkannte ich ein schmales Haus, dessen Fenster von Innenläden abgedunkelt waren. Früher waren in den Schaufenstern die Fotos des Besitzers ausgestellt gewesen. Der Admiral war eine lokale Berühmtheit. Hier sah man ihn in seinem Blazer mit goldenen Knöpfen, auf dem Kopf, vernebelt vom Rauch seiner Zigarette, eine betresste Schirmmütze. Stundenlang stand er in der Aufmachung, die er auf seinen Fotografien zur Schau trug, vor seiner Haustür und wartete auf ein Zeichen der Anerkennung durch die Passanten.
An der Ecke zur Hauptstraße zeigte der moderne Frontgiebel des Kasinos seine Voluten. Ich hatte dieses Haus immer nur geschlossen erlebt: Wie der mit Muschelwerk und Klippen durchsetzte Saut-du-Loup-Park zeugte das Gebäude von Horvilles vergangener Pracht. Iannis folgte mir wie ein Schatten, den Blick starr auf seine Finger gerichtet, und wegen seiner Ruhe dachte ich, er nehme teil an meiner Reise in die Vergangenheit. Nur der Klang unserer Schritte auf dem Asphalt unterbrach die Stille. Plötzlich wurde ich vom Lärm schnell davoneilender Schritte aufgerüttelt und drehte mich um: Von einer menschenleeren Straße angezogen, war Iannis verschwunden.
Ich rief ihn vergeblich, brüllte seinen Namen immer lauter, legte die Hände zum Schalltrichter um den Mund. Ich machte kehrt, stürzte in eine Straße, die von schlafenden Villen gesäumt wurde, wo ich ihn auch nicht fand. Meine Unruhe wurde immer größer, der Gedanke, ihn verloren zu haben, entsetzte mich, ich war mit kaltem Schweiß bedeckt. Mein Orientierungssinn ließ mich im Stich, bis ich nicht mehr wusste, zu welcher Seite das Meer lag. Eine neue Angstattacke, verbunden mit Katastrophenszenarien: Ich entdecke ihn mit seinem seltsamen Lächeln auf den Lippen in geringer Wassertiefe
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