Ein besonderer Junge
treibend, ein Spielball der Wellen; oder ein Auto hupt, Reifen quietschen auf dem Asphalt, dann höre ich den Aufprall eines Körpers auf der Kühlerhaube. Mehrmals ging ich an denselben Häuserfronten auf und ab, bog in dieselben Straßen ein, ohne sie wiederzuerkennen. Eine davon führte mich zur Mole, wo der Wind, der das Stadtzentrum von Horville verschonte, aus vollen Kräften blies. Ein Teil des Strands war von weißem Schaum bedeckt, in dem Algenbündel und herabgerissene Äste trieben.Der dumpfe Aufprall der Wellen, die sich an den Stützpfeilern brachen, ließ den Boden unter meinen Füßen beben wie bei einer Springflut. Keine Menschenseele am Horizont: Das schlechte Wetter hatte die wenigen Spaziergänger davon abgehalten, sich auf die Mole zu wagen, und ich bereitete mich darauf vor, zur Villa zu laufen, um Helena zu Hilfe zu holen.
Bevor ich mich dazu entschließen konnte, versuchte ich ein letztes Mal, den Jungen zu finden, und rannte hundert Meter am Meer entlang, das Gesicht vom Sand gepeitscht, um dann wieder in die Stadt abzubiegen. Der Weg kam mir bekannt vor, und ich glaubte plötzlich, den geschotterten Untergrund wiederzuerkennen: Es war der Weg, der zum Hôtel des Flots führte.
Am Ende des Wegs hatte sich Iannis, von Weitem an seinem Wippen zu erkennen, vor dem geschlossenen schmiedeeisernen Tor aufgebaut. Hier, vor dem Hotel meiner Kindheit, sollte ich ihn also finden.
Ich legte meine Hand in die von Iannis und versuchte, wieder Atem zu schöpfen, während ich die Fassade des Hotels betrachtete. Ein großes Schild
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versperrte eines der Fenster. So verfallen, wie alles aussah, musste das Hotel schon mehrere Jahre geschlossen sein. Hinter großen Fenstern hielt der Speisesaal Winterschlaf, der Wind fegte durch ihn hindurch wie damals mitten im Sommer. Wahrscheinlich waren unter dem Glasdach die Stühle auf den Tischen gestapelt, über dem Billardtisch lag eine Husse, die Teppiche lehnten zusammengerollt an der Wand. Im ersten Stock entdeckte ich das Fenster unseres Zimmers, des Zimmers,in dem ich jedes Jahr so eng mit meiner Mutter zusammenlebte, wie es unsere Pariser Wohnung nicht zuließ.
In meinen Ferien in Horville hatte ich sie zum ersten Mal gesehen. Als sie glaubte, ich schliefe, schlüpfte sie aus dem Bett und ging in das kleine Badezimmer. Einige Sekunden lang hatte ich einen Blick auf das erhascht, was ihre braven Kleider und ihre strengen Kostüme verbargen: einen schweren Busen, ein haariges Dreieck, eine üppige Fleischlichkeit, die zu bewundern mir bis dahin nur auf Reproduktionen von Gemälden in meinem Lexikon vergönnt war. Von derselben Unruhe ergriffen wie beim Anblick jener trägen Nymphen der großen Meister, hatte ich mich unter der Bettdecke gestreichelt. Als ich wieder in den Schlaf fiel, war sie mir im Traum erschienen, in einer von Flammen umgebenen Badewanne stehend. Beim Aufwachen hatte ich die Warnung verstanden: Auf Jungen, die ein solches Begehren nach einem verbotenen Körper zuließen, wartete die Hölle.
Iannis ächzte laut, ruderte schneller mit den Armen. Sicher war Hunger der Grund für seine Unruhe: Es war tatsächlich höchste Zeit, zum Mittagessen nach Hause zurückzukehren. Doch zuvor wollte ich noch einen Blick in den Garten werfen. Die Flügel des Tores waren mit einer Kette verschlossen, ich rüttelte daran, um zu sehen, ob sie nachgaben. Mit etwas Glück würden sie sich weit genug öffnen lassen, damit ich hindurchschlüpfen konnte, doch ich fühlte mich nicht bereit, das Gelände zu erkunden. Mit der Stirn gegen die Stangen gelehnt, betrachtete ich die Pflanzenwelt, die inden Zustand der Wildnis zurückgekehrt war. Es gab mehr Bäume, und sie waren dichter belaubt als in meiner Erinnerung, aber ich konnte den aufgefüllten Brunnen erkennen, früher über und über mit Geranien bewachsen, den Rasen, auf dem die Gäste damals ihren Tee tranken und der zu einer mit Disteln gespickten Steppe geworden war. Hinter dem Haselhain, der so dicht geworden war wie ein Unterholz, ahnte ich die unter den Apfelspalieren verborgene Mauer. Die wenigen Sonnenstrahlen, die durch das Blattwerk drangen, ließen die Flaschenscherben aufblitzen, die sie krönten, doch die Stahltür, die den Zugang zu den Ruinen verwehrte, blieb unsichtbar. Mein Atem ging schneller, als ich über der Mauerkrone den verfallenen Steilhang unter der Vegetation erblickte: die Ruinen des Saut-du-Loup-Parks.
Die ältesten Bürger von Horville kannten die Geschichte
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