Ein besonderer Junge
schlug der Kirchturm von Horville vier Mal. Helena stand auf, drückte ihre Zigarette aus und ging um den Tisch herum. Ich fühlte ihren Blick in meinem Rücken. Bevor sie zur Veranda ging, berührte sie meine Schulter.
»Wissen Sie, junger Mann, Sie gefallen mir.«
Wie sollte ich auf Helenas Worte reagieren, auf ihre dieses Mal unmissverständliche Einladung? Jungen in meinem Alter ging ich aus dem Weg, und mit den Mädchen lagen die Dinge nicht einfacher. Obwohl überall eine neue Atmosphäre der Freiheit herrschte, war ich sehr zaghaft geblieben. Zum Glück spielten die Mädchen, mit denen ich mich traf, noch das Spiel der Verführung, verweigerten sich, ließen sich Zeit, bevor sie erlagen, überließen mir die Initiative. Doch was tun mit einer reifen Frau, die mir nicht gefiel und die ich nicht begehrte, die mich im Gegenteil sogar ein wenig erschreckte, wenn sie so auf mich zuging und ihr Begehren ganz unverblümt ausdrückte? Laut meinen Eltern war ich vielleicht ein besonderer Junge, doch vor allem stand ich mir selbst im Weg und befand mich jetzt in der denkbar unangenehmsten Lage. Ein anderer hätte die Situation erregend gefunden, sich über den Glücksfall gefreut und Iannis’ Mutter ohne Weiteres in ihrem Schlafzimmer besucht. Ein anderer, nicht ich. Was mich anging, schien mir das, was ich mit Iannis erlebt hatte, was ich seinetwegenmitgemacht hatte, leichter zu bewältigen als Helenas Annäherungsversuche.
Dieser letzte Zwischenfall sollte mir auch nicht helfen, Schlaf zu finden, ich drehte mich endlos im Bett von einer Seite auf die andere, bis die ersten Strahlen des Sonnenaufgangs durch die Fensterläden drangen. Vom Meer her wehte an diesem Morgen ein heftiger Wind, und die Fenster ächzten unter seinem Ansturm. Ein Knarren in Iannis’ Zimmer kündigte an, dass er aufgewacht war. Ich stand auf, nachdem ich den Entschluss gefasst hatte, der am wenigsten Mut bedurfte, der meinen Eigenarten jedoch am meisten entgegenkam: So tun, als wäre nichts geschehen, und diese Nacht vergessen.
Ich hoffte, Helena würde es genauso machen, doch angesichts von Iannis’ Verhalten stellte sich die Frage nicht mehr. Kaum war er in der Küche, stürzte er mit ausgestreckten Armen seiner Mutter entgegen. Ich dachte, ich würde zum ersten Mal seit meiner Ankunft erleben, wie er sich an sie schmiegte, doch seine Hände griffen nach dem Busen seiner Mutter, an dem er sich gierig festkrallte. Helenas Zigarette flog davon, während sie kämpfte, um sich aus dem Griff ihres Sohns zu winden. Bevor ich eingreifen konnte, gelang es ihr, Iannis mit einer heftigen Bewegung von sich zu stoßen, so dass er auf den Fliessen ausrutschte. Er lag jetzt auf dem Bauch, stöhnte zu Füßen seiner Mutter. Ich eilte zu ihm, um ihm aufzuhelfen, als er, schnell wie eine Katze, die auf ihre Beute springt, nach vorne hechtete und Helenas Beine mit seinen Armen umschloss, um schließlich seinen Mund auf den Reißverschluss ihrer Jeans zu pressen. Wir hattenselbst zu zweit Mühe, ihn zu bewegen, die Umklammerung zu lösen. Kaum hatte wir es geschafft, da ertönte eine Reihe klatschender Ohrfeigen: Iannis schlug sich selbst, wütender denn je.
Helena sank auf einen Küchenstuhl, vergrub den Kopf zwischen den Händen, und ich zog es vor, Iannis auf sein Zimmer zu bringen, damit er sich beruhigte. Auf seinem Bett sitzend, fasste er sich, sein keuchender Atem nahm nach und nach wieder einen normalen Rhythmus an, und sobald es möglich schien, überließ ich ihn für einige Augenblicke sich selbst und seinem Wippen, um in die Küche hinunterzugehen und Helena zu trösten.
Die Hälfte einer Zigarette war schon zwischen ihren Fingern heruntergebrannt. Sie hob den Kopf, und unter der Strähne, die ihr über die Stirn hing, waren die Augen gerötet.
»Ich antworte auf Ihre Frage, bevor Sie sie mir stellen: Ja, es ist das erste Mal, dass so etwas passiert ist. Ich weiß, dass Iannis keinerlei Hemmungen hat, er tut, was sein Instinkt ihm vorgibt … Aber jetzt hat er wirklich die Grenzen überschritten …«
Mit einem leisen, bitteren Lachen fügte sie hinzu:
»Keine Schranke, kein Tabu. Und ich habe mir immer eingebildet, das sei ein Vorsatz, der nur für die Literatur gilt!«
Sie schüttelte verzweifelt den Kopf und stand auf, um sich einen neuen Kaffee zu machen.
»Gehen Sie mit ihm spazieren, heute Morgen kann ich seinen Anblick nicht mehr ertragen.«
Dieser Vorfall hatte mich mehr verstört, als ich es hätte sagen können: Nur
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