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Ein besonderer Junge

Ein besonderer Junge

Titel: Ein besonderer Junge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Schließlich streckt sie ihre Arme in der Dunkelheit nach mir aus und umschlingt meinen Hals. Sie streicht mit beidenHänden über mein Gesicht wie eine Blinde, die meine Züge ertastet, dann zieht sie mich zu sich und drückt ihre feuchte Wange an meine.

 
    Es ist noch tiefe Nacht, als ich die Augen öffne und versuche, mir klar darüber zu werden, wo ich mich befinde. Eine Hand Helenas liegt auf meiner Brust, sie atmet friedlich. Ich habe den Körper eines jungen, fröstelnden Mädchens erforscht, das sich damit begnügte, meinen Körper flüchtig zu berühren, und das es zuließ, dass meine Lippen sich bis zu seinen intimsten Stellen vorwagten, das bereit war für ein süßes Vergnügen. Sie hat jede meiner Bewegungen mitgemacht: ganz das Gegenteil der Gebieterin, deren herrische Lust mir Angst gemacht hatte.
    Kaum hatte ich ihr Zimmer betreten, zog sie mich mit ihren Armen zu sich, wegen ihrer Kraft fürchtete ich, es würde einen Kampf mit ungewissem Ausgang geben, doch sobald ich in ihr Bett geschlüpft war, schmiegte sie sich an mich, und es flossen wieder Tränen. Ich wiegte sie, tröstete sie, bis ihr Körper sich entspannte und bereit war, sich zu öffnen. Sehr schnell riss die Lust sie mit, und sie gab ein gedämpftes Stöhnen von sich, das meine Lust anstachelte. Noch in ihr, mit ihrem Atem im Haar, schlief ich ein.
    Es ist vollkommen still, doch ich finde keinen Schlaf mehr. Alle meine Gefühle stürmen auf mich ein, die Aussicht, nach Paris zurückzukehren, bedrückt mich, die Nähe von Helena bedrängt mich körperlich, ihre Wärme erfüllt mich. Ich stehe auf und gehe hinunter ins Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Der Deckel der Remington auf dem Schreibtisch ist geschlossen, ich sehe, dass der Stapel Papier seit meiner Ankunft deutlich kleiner geworden ist, und ich wundere mich, dass ich nicht schon früher darauf gekommen bin, einen Blick auf Helenas Arbeit zu werfen. Die Schublade ist nicht abgeschlossen, ich kann der Versuchung nicht widerstehen, sie zu öffnen, und nehme das erste Blatt, das mir in die Hände fällt.
     
    »Er spürt die Lust aufsteigen, wirft den Kopf zurück, schließt die Augen. Sie fleht ihn an, er möge sie wieder öffnen, sie möchte sein Gesicht sehen, vor allem in den Tiefen seines Blicks den Augenblick erfassen, in dem alles kippt. So kurz wie er ist, bleibt ihr der Orgasmus eines Mannes ein Rätsel, ebenso wie ihr eigener. Durch ihn kommt er mit der grundlegenden Ordnung der Natur zusammen, er lässt ihn in diesen wenigen Sekunden, die ihn völlig auflösen, sterben und wieder zur Welt kommen. Ob erhaben oder schmutzig, verliebt oder gegen Bezahlung spielt keine Rolle, wenn sich die Unendlichkeit auftut.
    Er gehorcht ihr, seinem sich aufbäumendem Körper, und schließt die Lider nicht. Sie glaubt, er würde ihr endlich erlauben, die Antwort zu erkennen, doch im entscheidenden Augenblick erblickt sie in den Augen des jungen Mannes nur eine siderische Leere.«
     
    Das also hatte Helena aus dem Augenblick gemacht, in dem ich mich dieser unbekannten Lust hingegeben hatte. Das war ihr von meinem Blick in ihre abgrundtiefen Augen in Erinnerung geblieben:
eine siderische Leere
. Ich zögere, die anderen, in der Schreibtischschublade versteckten Seiten zu nehmen, ich kann mir mühelos vorstellen, was ich darin entdecken würde: die Erlebnisse der letzten Abende, mit deren Erzählung sie ihren Roman gemästet hat und in der ich kein besseres Bild abgebe.
    »Ich habe mich Ihnen heute Nacht hingegeben, Louis, ich habe eingewilligt, ich verlangte sogar danach, aber was Sie gerade tun, nennt man eine Vergewaltigung.«
    Mein Atem stockt, ich drehe mich um: In einen Morgenmantel gehüllt, die Hand am Türgriff, richtet Helena einen eisigen Blick auf mich.
    »Ich vertraute Ihnen. Dass Sie das Herz eines gemeinen Einbrechers haben, dass Sie Bücher fleddern, hätte ich nicht gedacht!«
    Ich bin drauf und dran, mich für die Taktlosigkeit meines Verhaltens zu entschuldigen, doch eine kalte Wut überkommt mich, und ich schwinge die der Schublade entrissene Seite, um sie ihr mit tonloser Stimme vorzulesen, die letzten Worte besonders nachdrücklich.
    »Na und? Klingt doch nicht schlecht, oder? Ein Roman, und da Sie ja wissen, Louis, was ein Roman ist, werden Sie doch nicht glauben, Sie seien meine einzige Inspirationsquelle? Stellen Sie sich vor, ich habe schon geschrieben, bevor Sie kamen! Ihre Gestalt ist einfach im Laufe der Zeit zwischen meine Seiten geraten. Aber es wäre

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