Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
herum, weg vom Abgrund - lachend und weinend, weil alles so wunderbar und absurd war, meinem - da war ich sicher - gerechten Schicksal entronnen, von einer (flüchtigen) seltsamen und tiefsinnigen Logik beseelt. Mein Leben rettend.
Tja, so fühlte ich mich in jenem Jahr. Und diesem smarten, intelligenten, sorgfältigen Entscheidungsfindungsprozess war mein Leben unterstellt.
Wieder in New York, wohnte ich in einer kleinen, ziemlich düsteren Wohnung, die in einer Gasse in Hell’s Kitchen lag. Aus dem Italian Hero im Erdgeschoss roch es nach Knoblauch und Tomatensoße. Da ich alles auf den Kopf gehauen hatte, besaß ich nicht viel. Ein paar Klamotten. Ein paar Bücher. Jede Menge südostasiatischen Nippes. Ich war nur selten zu Hause, deshalb konnte es mir egal sein. Meine Lieblingskellerbar, wo ich eine Art Dauerstudium betrieb, war nur ein paar Häuser weiter.
Ich hatte keine feste Freundin. Ich suchte auch nicht nach Liebe, nicht einmal nach Sex. In meinem Seelenzustand
hätte ich auch gar nicht die Initiative ergreifen können. Wenn wir uns über den Weg gelaufen wären damals, und Sie hätten mich gefragt, wäre ich aber wahrscheinlich mit zu Ihnen nach Hause gegangen.
Geschäfte führten mich hin und wieder nach England. Eines Abends saß ich, zweifellos betrunken, an der Bar eines besonders verruchten »Clubs« und wartete auf einen Mitarbeiter meines Verlags, als mir auffiel, dass eine sehr schöne Frau mich im Spiegel hinter meiner Schulter anstarrte. Obwohl sie damit durchaus ein bescheidenes Interesse an mir bekundete, war das für mich noch lange kein Grund, vom Barhocker aufzustehen, ihr zuzublinzeln, zuzunicken, zuzuwinken oder auch nur zurückzustarren. Ich wusste mittlerweile recht gut, wie wenig ich mich für normale menschliche Interaktion eignete. Es war, als hätte ich meinen Thermostat eingebüßt - als hätte ich keinen Regler mehr. Mir war nicht zuzutrauen, dass ich mich richtig benahm, angemessen reagierte oder auch nur ahnte, was unter »normal« zu verstehen war. Das alles wusste - oder spürte - ich, als ich da saß, über meinen Drink gebeugt, und mied daher jeden Kontakt mit der Welt, der nicht geschäftlicher Natur war. Doch eine Vermittlerin, die Freundin der Frau, nahm die Sache in die Hand, stand plötzlich neben mir und stellte uns vor.
Wir lernten uns etwas näher kennen und trafen uns in den nächsten Monaten immer mal wieder in England und New York. Mit der Zeit erfuhr ich, dass sie aus einer sehr reichen Familie kam. Sie unterhielt eine Wohnung in New York, trieb sich andauernd auf Modenschauen herum und ging mit ihrer Mutter shoppen. Ihre Familie hatte britische, französische und osteuropäische Wurzeln, sie sprach vier
Sprachen, und sie war klug, bissig, komisch und (gelinde gesagt) etwas überdreht - eine Eigenschaft, die ich an Frauen schätze.
Na gut, sie hatte ein Kokainproblem, das ich schon überwunden hatte. Und ihre T-Shirts kosteten mehr, als meine sämtlichen Bekannten im Monat verdienten. Aber ich schmeichelte mir damit, dass ich der einzige ihrer Freunde war, der sich nicht um ihr Geld scherte, um ihre Abstammung oder die Jetset-Knalltüten, mit denen sie verkehrte. Mit der Rechtschaffenheit des Ahnungslosen sah ich deren Privilegien eher als Belastung und benahm mich entsprechend. Ich ging von der bequemen Grundannahme aus, dass jemand, der dermaßen reich und privilegiert ist, wie ihre Freunde es offenbar waren, naiv, unfähig und überhaupt recht nutzlos sein muss.
In dem Irrglauben, dass ich das arme reiche Mädel irgendwie »retten« könnte und ihr einfache Vergnügungen wie ein kaltes Bier, eine Hängematte und schlichte Barbecueschuppen bestimmt gefallen würden, lud ich sie über Weihnachten ein, mich in der Karibik zu besuchen. Ich hatte die Wochen zuvor bereits mutterseelenallein dort verbracht, in einer kleinen, aber sehr netten Villa, die ich gemietet hatte. Die Insel war flippig, billig und herrlich primitiv. Sie war zur Hälfte französisch, zur Hälfte niederländisch und hatte soziale Probleme, Erwerbsarmut und eine schnell wachsende Bevölkerung, die seit vielen Generationen dort ansässig war. Daher gab es auch ein Leben und eine Wirtschaft außerhalb der Tourismusbranche, eine Alternativversion der Insel, in die man, so gewünscht, weitab von seinesgleichen eintauchen konnte. Seit Wochen schon hatte ich keine
Schuhe mehr getragen und meine Mahlzeiten ausschließlich mit den Fingern zu mir genommen. Das gefiel doch sicher jedem? Dachte
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