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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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darüber, wieder in dem Land zu sein, in das ich völlig vernarrt bin.
    Hanoi kann man nur vom Rücksitz eines Motorrollers aus erleben. Eine Autofahrt wäre der reine Wahnsinn, man käme nur kriechend langsam voran und könnte nicht einmal die Hälfte der engen Sträßchen und Gassen erkunden, in denen es die besten Sachen zu sehen gibt. Wer hier durch eine Glasscheibe von der Welt getrennt ist, verpasst - alles. Die Fahrt auf dem Rücksitz eines Motorrollers dagegen führt den Besucher mitten hinein ins Gewühl, ein winziges Teilchen in einem organischen, sich ständig wandelnden Gebilde, das durch die Venen, Adern und Kapillaren der Stadt wuselt, wirbelt und quirlt. Zugegeben, es ist auch ein bisschen gefährlich. Ampeln, Einbahnstraßenschilder, Kreuzungen und vieles mehr bilden nur die grobe Kontur einer
organisierten Gesellschaft, sind mehr Andeutungen denn Regeln, die von jedermann tatsächlich beachtet würden. Der Vorteil ist allerdings, dass man immer Vorfahrt hat. Hier haben der Roller und das Motorrad das Sagen. Das Automobil, das bei uns die Straßen regiert, ist in Hanoi umständlich und schwerfällig, Nachzügler auf jeder Party, ein wollenes Mammut der Straße, dem man lustlos seinen Platz zugesteht, fast mitleidig, als sähe man einem dicken Mann beim Sackhüpfen zu.
    Linh fährt, und ich habe endlich, nach vielen Stunden auf dem Sozius, die westliche Gepflogenheit des Festhaltens aufgegeben. Hier tut das keiner. Das dreijährige Kind nicht, das vor Vater und Mutter im Fußraum stehend gerade an mir vorbeisaust, und auch nicht die Großmutter, die da drüben im Damensitz hinter ihrem Schwiegersohn und ihrer Tochter thront, oder die Hunderttausenden junger Männer und Frauen, die auf dem Sozius telefonieren oder sich gegenseitig etwas zurufen. Irgendwie schaffen wir es alle, sitzen zu bleiben, ohne uns an Taille oder Schulter des Fahrers festzuhalten oder ihm gar beide Arme um den Bauch zu schlingen. Irgendwie geht das, wir kommen schnell voran, manchmal sehr schnell, zusammen und getrennt, ohne vom Sitz zu fliegen oder mit anderen zu kollidieren. Tausende, Millionen von uns, eine mobile Konversation in Worten, Blicken, Gesten und schrillem Gehupe mit ständig wechselndem Personal, das sich da durch die Altstadt von Hanoi schlängelt, die Seen umfährt, durch Gegenströmungen schlüpft, die traurigen vierrädrigen Ungetüme überholt, die wie Steine im Fluss verharren, ohne die armen Seelen, die deprimiert und ungeduldig darin gefangen sind, auch nur zu beachten.

    Ist in dieser Stadt überhaupt jemand über dreißig?
    Anscheinend nicht. Statistisch betrachtet sind siebzig Prozent der Bevölkerung unter dreißig, aber wenn man nach den Straßen von Hanoi (oder jeder anderen vietnamesischen Stadt) geht, muss der Anteil noch höher sein. Keiner von denen erinnert sich an den Krieg. Da waren sie noch gar nicht auf der Welt. Wie bei unserem Babyboom nach dem Zweiten Weltkrieg müssen die Leute vom Schlachtfeld direkt nach Hause geeilt sein und es ausgiebig getrieben haben. Jeder, wirklich jede und jeder, scheint es, ist jung und auf dem Weg zum Essen oder auf dem Rückweg, oder sie oder er isst jetzt in dieser Minute, sitzt auf einem der Plastikstühle, die die Gehwege verstopfen, in einem der offenen Ladenlokale, schlürft Nudeln oder knabbert an einem leckeren Teilchen und trinkt bia hoi , das frische hiesige Bier, in den unterschiedlichsten Stadien der Freude oder Zielstrebigkeit.
    Die großen, saftigen Stückchen Schweinefleisch meines alten Lieblingsgerichts bun cha , die im süßsauren, zimmerwarmen Saft der grünen Papaya serviert werden, brutzeln auf dem Holzkohlegrill am Straßenrand; bun oc , ein hellrötlicher dampfender Mischmasch aus Schnecken, Nudeln und mit Krabbenrogen versetzter Brühe erkenne ich im Vorbeifahren an den großen Tomatenstücken, die oben auf schwimmen. Crêpes, banh-my- Brötchen - knusprige Baguettes, dick belegt mit Schweinskopfsülze, herrlich mysteriösen Pasteten, eingelegtem Gemüse und dem gelegentlichen Spiegelei; außerdem bun bo hue , die herzhaftere Machovariante des pho - Nudeln mit Bergen von Rindfleisch und Schweinefleisch; und Blutwurstscheiben - so
gut wie jedes verdammte köstliche Teil, das man sich nur vorstellen kann. Winzige elektrisch rote Chilischeiben, knackige Sprossen, Thai-Basilikum, grob gerupfter Koriander, Minze, Scheiben grüner Bananen, Zitronenviertel, wo man hinsieht. Überall.
    Jeweils zehn, zwanzig Vietnamesen drängen sich

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