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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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vornübergebeugt um Töpfe mit Rindfleisch und ganzen Fischen.
    Oder sie fahren herum.
    Wenn man im Auto sitzt, kriegt man davon einen Scheiß mit. In kaum einer Gasse ist so viel Platz, dass ein derartiges Raumschiff dort überhaupt landen könnte. Bestenfalls kann man langsam vorübergleiten, das Gesicht gegen die Scheibe gedrückt, oder - wenn man etwas für Folter übrighat - für einen Moment das Fenster öffnen, sich die Nase kitzeln lassen mit der komplexen Mixtur aus tausendundeiner Wonne, die meisten unerreichbar. Klar, man kann das Auto ein paar Straßen weiter abstellen, aber dann hätte man auch gleich zu Fuß gehen können. Mit dem Roller kann man dagegen auf einen Parkservice zurückgreifen. Ja, wirklich. Da fast jeder verfügbare Quadratzentimenter Gehweg voll steht mit Tischen, gibt es herzlich wenig Platz für Motorräder. Aber keine Sorge, denn jeder kleine com , jedes Café, jeder Straßenhändler und jedes Lokal hat einen Jungen draußen stehen, der dem Gast Helm und Fahrzeug abnimmt, mit Kreide eine Nummer auf den Sitz malt und es irgendwie zwischen die vielen anderen quetscht, die schon da stehen. Nur so funktioniert das System. Und wenn man fertig ist, zieht er es hilfsbereit wieder heraus, und man kann weiterfahren.
    Manche Dinge sind unschlagbar. Manche Dinge sind einfach … klassisch. Man weiß sie immer zu schätzen. Die Begeisterung
nimmt vielleicht unmerklich zu oder ab, aber man bleibt immer dabei. Sei es »Let it Bleed« von den Rolling Stones oder die Hündchenstellung - gut ist einfach … gut. Es gibt noch anderes im Leben, aber selbst wenn man sehr lange über Ersteres - oder Letzteres - nachdenkt, würde es einem schwerfallen, es zu verbessern.
    Genauso geht es mir mit dem Pho nach Hanoi-Art. Ich mag die südvietnamesischen Versionen dieser würzigen Nudelsuppe und weiß von Zeit zu Zeit auch den raueren, schärferen, weniger subtilen Charme der forscheren Schwestern aus Saigon zu schätzen, ja, ich brauche sie sogar hin und wieder. Aber ich würde keine von ihnen heiraten.
    Die Verwendung sexueller Metaphern zur Beschreibung von Gerichten geschieht bei vielen Küchenautoren ungeniert, ja geradezu automatisch, und auch meine Wenigkeit macht sich dieses Vergehens oft schuldig. Besonders geeignet erscheint sie mir für die Beschreibung des Pho in Hanoi zu sein, obwohl das weniger mit einem spätnächtlichen, lottrigen Umschlungensein zu tun hat und meistens morgens eine Rolle spielt. Nichts ähnelt so sehr dem Set eines Pornofilms wie ein beliebtes Pho-Lokal, insbesondere am späten Vormittag, wenn die ersten Schübe hungriger Menschen auf dem Weg zur Arbeit schon wieder weg sind.
    Hier wie dort ist die Landschaft des Begehrens mit zerknüllten Tüchern übersät, dem verbrauchten Ausdruck menschlicher Lust. Niedrige rosa Plastikmülleimer quellen über von kleinen weißen Papierbällchen, nasses Salzkraut liegt überall auf dem Boden herum. Auf dem Weg zur Theke bleibt es an den Schuhsohlen kleben und verfolgt den Gast peinlicherweise auch auf dem Weg zurück zum Tisch,
den er eilig zurücklegt, wie beim Verlassen einer Peepshowkabine. Anders als beim Sex jedoch liegt dieser unangenehme Weg vor dem Touchdown. Nachdem man lange in der Schlange gewartet, ein paar Dong, wie die vietnamesische Währung heißt, ausgehändigt und sich zwischen lauter Fremde an einen niedrigen Tisch auf dem Gehsteig gequetscht hat, wird man für die Mühe mit Perfektion belohnt.
    Brühe - meistens, aber nicht immer, das pikant-süße Extrakt aus vielen Rinderknochen - mit reichlich Mark. Nicht zu dunkel, und definitiv nicht zu leicht. Wahrscheinlich köcheln drei oder vier gigantische Töpfe mit dem Zeug hinter dem Tresen, der Dampf steigt zur Decke auf, der Koch schöpft die Brühe von ganz oben ab. Die Einheimischen erklären, dass alles auf die Brühe ankommt. Wenn die Brühe nicht genau richtig ist, können die besten Zutaten der Welt das Pho nicht retten. Auch auf die Reisnudeln kommt es an. Sind sie zu weich, zu alt oder zu lange gekocht - ist es Murks. Zu zäh - dasselbe. Also macht man sie bitte schön selbst, kocht sie auf den Punkt oder gibt sie zumindest immer neu in die Brühe. In Hanoi ist das Fleisch klassischerweise Rind und Rinderflechse, aber die Vorlieben sind so vielfältig wie die genauen Zutaten. Hinter dem Glas der Theke in meinem Lieblingslokal in der Altstadt stapelt sich vorgegarte Rinderschulter: die vollkommene Balance von magerem und fettem Fleisch. Und viele mögen das - und

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