Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
Für einen jungen Mann mit Hang zum Unabhängigen und einem bescheidenen
Einkommen ist ein schuhkartongroßes Uiger-Nudellokal im Keller eines chinesischen Einkaufszentrums in Flushing durchaus erste Wahl.
Das alles ist aber nur eine Gegenkultur, wenn sie auch »gegen« etwas ist. Da wäre, hoffe ich doch, als Erstes Bullshit zu nennen. Und davon gibt es noch jede Menge. Geld wird vielleicht immer knapper, aber Bullshit gibt es zuhauf.
Das heißt nicht, dass nun alles Althergebrachte über Bord geworfen werden müsste, wie in vielen Revolutionen üblich. Wenn hier eine »Bewegung« entstanden ist, wird sie sich wie manch andere vor ihr in verschiedene, ja, sogar gegensätzliche Richtungen aufspalten. Diese Große Fragmentierung spiegelt wider, was schon seit geraumer Zeit mit dem Fernsehen, der Musikindustrie und den Printmedien geschieht. Die Gastronomie wird, anders als die Medienkonzerne, hoffentlich besser dafür gerüstet und schneller bereit sein, mit diesen neuen historischen Gegebenheiten umzugehen. Sie wird es müssen.
In den Monaten nach dem Börsencrash, als Restaurants geschlossen und Gürtel enger geschnallt wurden, deutete vieles auf das kommende Unheil hin: Der Umsatz von Süßwaren schoss in die Höhe, ebenso wie der vieler Fast-Food-Ketten. Angst und Unsicherheit, so schien es, veranlassten die Menschen zum Rückgriff auf das Vertraute, und sie gaben dem kindlichen Drang nach, sich dem zuzuwenden, was sie kannten: dem billigen Geschmack in altgewohnten Verpackungen. Wenigstens die Lakritze war noch die alte, und auch Ronald McDonald und Kentucky Fried Chicken waren noch da. Ich frage mich allerdings, wie lange das anhalten wird.
Vielleicht müssen die Leute bald wieder selber kochen. Um Geld zu sparen und weil Arbeitslose mehr Zeit für so etwas haben - das ist die eisige Realität.
Wenn aus all dem Schmerz und der Unsicherheit etwas Gutes erwachsen soll, kann ich nur hoffen, dass der Food-Court oder der Straßenmarkt nach asiatischem Vorbild dabei ist. Es ist allerhöchste Zeit, dass sich diese Institution überall im großen Stil durchsetzt. Eine Vielzahl von Minilokalen mit jeweils einem Koch und einer Spezialität (gewissermaßen Imbissstände) ordnen sich um einen »Hof« mit Tischen für alle. Wann werden schlaue und bürgerorientierte Investoren, vielleicht im Tandem mit der Stadtverwaltung, endlich eine ausreichend große Parkplatzfläche in der Nähe eines Geschäftsviertels dafür bereitstellen, damit Anbieter aus aller Herren Länder ihre Erzeugnisse dort verkaufen können? Mit gemeinsamen Tischen wie in den klassischen Food-Courts der Einkaufszentren und Flughäfen?
Warum gibt es bei uns angesichts der großen asiatischen und lateinamerikanischen Bevölkerung keine dai pai dong , Garküchen auf dem Gehweg also, die chinesische Version des amerikanischen Food-Courts, wie sie in Hongkong üblich ist, oder hawker centers wie in Singapur oder Kuala Lumpur? Oder »Lebensmittelstraßen« wie in Hanoi oder Saigon? Oder »offene« Taco-Buden und Tortilla-Bäckereien, die unter freiem Himmel betrieben werden, wie in Mexico City?
Die Kochbereiche lassen sich wie in Singapur durchaus abtrennen, sodass der Umgang mit den Lebensmitteln und die Hygiene kein unlösbares Problem darstellen müssen. Singapur ist der strengste unter den Gouvernantenstaaten und hat trotzdem die lebendigste Straßengastrokultur.
Ein solches Gastronomiezentrum wäre eine Antwort auf die Stoßgebete gestresster Büroangestellter, knapp kalkulierender Arbeiter, Polizisten mit kurzer Mittagspause sowie Kochfreaks jedes Einkommensniveaus. »Authentizität«, Kochkunst, Frische, eine unglaubliche unerhörte Vielfalt - und das für wenig Geld? Alles unter einem Dach? Das, so wollen wir hoffen, ist zumindest ein Teil dessen, was die Zukunft für uns bereithält.
Was sie sonst noch zu bieten hat? Wer weiß. Jonathan Gold ist da auf der richtigen Spur. Was das genau bedeutet und wie schlimm es für die gehobene Küche kommen wird, darüber wird noch heftig diskutiert werden. Ein Hermès wird immer seinen Platz haben, da hat Eric Ripert sicher recht: Hier wird das Beste vom Besten serviert, von dem die Leute, die sich so etwas leisten können, wissen , dass es die Zeit und Kochkunst vieler Beteiligter erfordert. Aber was passiert mit den anderen, den immer noch hochpreisigen, aber nicht ganz so guten Restaurants? Wer schert sich in zehn Jahren noch um die Versaces der Gastronomie?
Gordon Ramsays Beispiel könnte da
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