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Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
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weitererzählen. Mag sein, dass ich sie im Fernsehen bereitwillig und bei jeder Gelegenheit zum Besten gebe, aber das ist … was anderes , denn da erzähle nicht ich , sondern die bösen Kameraleute, die Redakteure. Damit bin ich praktischerweise aus dem Schneider.
    Schreibe ich über Bilder, Geräusche und Aromen, die sich als orgiastisch darstellen lassen, und zwar mit dem Ziel, bei anderen lüsternes Interesse und Neid zu wecken - da komme ich doch zu Fragen der … wie soll ich sagen … moralischen Art.

    Wenn ich hier sitze, formuliere, Buchstabe für Buchstabe auf der Tastatur eingebe, mit der ausdrücklichen Absicht, Ihnen nahezubringen, was ich getan oder gegessen habe, und Sie damit möglichst hungrig und unglücklich zu machen, dann gehört sich das sicher nicht.
    Scheiß drauf.
    Wer besorgt sich’s nicht hin und wieder gern selbst?
    Man stelle sich also vor …
    In Hongkong gibt es einen Laden für gebratene Gans - in Mongkok, in der Peripherie der Stadt, ein Lokal, das aussieht wie jedes andere. Aber du beißt in die hastig gehackten Fleischstücke und weißt, das ist etwas Besonderes. Schichten der Erleuchtung, anders lässt es sich nicht beschreiben, ein einmaliger Eindruck jagt den anderen, wenn die Geschmacksknospen der Zunge zunächst die knusprige, karamellisierte Haut wahrnehmen, dann Luft, Fett, das saftige, süße, aber würzige Fleisch mit dem kaum wahrnehmbaren Wildgeschmack, das nur kurz seine physische Qualität bewahrt, ehe es sich verflüssigt.
    Was man schmeckt und fühlt, ist das Ergebnis vieler Jahre, in denen ein und derselbe Mann ein und dasselbe Gericht zubereitet hat. Dieser Mann da, der hinter der Theke mit dem Hackmesser gebratenes Schwein, Ente und Gans zerkleinert, wie er es schon als Kind getan hat und sein Vater vor ihm. Er hat den Bogen raus, so viel ist sicher, und kaum, dass du an einem der weißen Resopaltische sitzt, während aus einem unterdimensionierten Lautsprecher kantonesische Popsongs quellen, bisweilen quäken, weißt du das auch. Ja, du bist dir ziemlich sicher, dass das die beste Gans auf Erden ist. Niemand isst in diesem Augenblick besseren
Gänsebraten. Vielleicht hat es in der Weltgeschichte überhaupt nie einen besseren Gänsebraten gegeben. Normalerweise würdest du bei der Beschreibung einer Mahlzeit nicht so weit gehen, aber jetzt, da dir das himmlische Gänsefett vom Kinn tropft und das herrliche Knuspern der Haut in deinem Schädel widerhallt, scheint jede Übertreibung gerechtfertigt.
     
    Es ist Nacht in Puebla. Eine Taco-Lady und ihr Mann stehen hinter ihrem Karren, über ihnen baumelt eine nackte Glühbirne. Sie verkaufen tacos de lengua , Rinderzunge, in Streifen geschnitten und mit Zwiebeln in einer Grillpfanne angebraten. Wenn die Zunge am Rand braun wird und die Luft sich mit dem herrlichen Duft füllt, kratzt die Lady sie mit einem Pfannenwender vom heißen Metall, gibt sie auf die weichen, noch warmen, doppellagigen Maistortillas und streicht schnell einen Löffel salsa verde darauf. Sie streut frischen Koriander darüber und etwas rohe, gehackte Zwiebel und reicht sie auf einem Papierteller, der so dünn ist, dass er das Gewicht kaum tragen kann, dem Kunden. Du schiebst dir einen der Tacos in den Mund und spülst ihn mit einem Schluck kaltem Tecate-Bier aus der Dose herunter - die zuvor in etwas Limettensaft getunkt und in einen Teller Salz gedrückt wurde, sodass sich obenherum ein Salzrand gebildet hat. Unwillkürlich verdrehst du die Augen.
    Während du so dastehst und die Hunde betrachtest, die erwartungsvoll vor dem Lichtkegel der einzelnen Glühlampe ausharren, huscht mal ein verklärter, mal ein verzückter, mal ein glückseliger Ausdruck über dein Gesicht. Vater, Mutter und zwei Kinder sitzen auf Küchenstühlen, die das
Ehepaar für die Kunden auf die Straße gestellt hat - und du hoffst, dass die Kinder nicht erschrecken, wenn sie dich in dem gruseligen Licht ansehen.
     
    Das ist ein verdammter Everest aus Meeresfrüchten, ein vielstöckiger Turm aus gestoßenem Eis und Algen, geschmückt mit Austern aus dem nahen Belon und aus Cancale, das nur etwas weiter weg ist. Da sind Strandschnecken, Wellhornschnecken, Teppichmuscheln, zwei Arten Riesenkrabben, deren Scheren sich über den Körpern vieler Hummer kampfbereit zum Himmel recken - ein Wirrwarr aus fleischigen Scheren, die großen Leiber umgeben von kleineren, perläugigen Krabben und Langusten, die verstreut daliegen wie die Opfer eines Busunfalls. Was erstaunlich ist: Jeder

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