Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs
lehrreich sein. In den letzten drei Jahren eröffnete er zwölf neue Restaurants rund um den Erdball, für die seine erfolgreichen Fernsehsendungen und seine Michelin-Sterne als Rückhalt dienen. Alle Häuser schreiben rote Zahlen. Er ist bislang dem Bankrott nur knapp entgangen.
Küchenchefs, die sich in Las Vegas eine bessere Zukunft versprachen, die das große Geld machen oder die Leiter hochklettern wollten, haben, so scheint es, aufs falsche Pferd gesetzt. Die Karawane ist weitergezogen.
Und Dubai, das sich eine Zeit lang als das neue Walhalla für Küchenchefs präsentierte, ist eben doch die überwiegend leere, unfertige Baustelle, die es schon immer war. Es ist erstaunlich, dass die Hochfinanzgenies nicht in der Lage sind zu sehen, was jeder Kleinunternehmer auf Anhieb erkannt hätte: Es wurden jede Menge Gebäude errichtet und Grundstücke verkauft. Aber niemand ist eingezogen . Und, übrigens, Dubai liegt in der scheiß Wüste. Es steht daher zu bezweifeln, dass es den Köchen weiter das Geld nachwirft. Küchenchefs und Gastronomen werden zu ihrem ursprünglichen Geschäftsmodell zurückkehren müssen: den Leuten Essen servieren, das ihnen schmeckt, und damit ihr Geld verdienen.
Wenn man nach einem Hinweis sucht, nach einem deutlich vernehmbaren Bergwerksvögelchen, sollte man sich einmal genauer ansehen, was derzeit in Miami geschieht: Dort werden für mehrere Millionen Dollar das Hotel Fontainebleau und die angrenzenden Geschäfte renoviert, darunter auch ein hervorragendes Scarpetta-Restaurant. Der Bar- und Loungebereich, der immer ein Garant für den Gewinn eines Restaurants war, wird voraussichtlich grundlegend umgestaltet. Der Wohlstand dieser Stadt beruht traditionell auf Spirituosen, also dem Verkauf einer Zwanzig-Dollar-Flasche Wodka für fünfhundert Dollar (womit sich der Gast das Recht auf einen Sitzplatz sichert). Wie lange diese an Arschlöchern orientierte Wirtschaft überleben wird, ist fraglich. Zwar steht jeden Morgen ein Arschloch auf, aber man sollte sich doch ernsthaft fragen, wie lange es noch reiche Arschlöcher gibt, die dermaßen viel Geld für nichts auszugeben bereit sind, und das in Restaurants, die gleichzeitig auch noch als »Lounges« auftreten.
Für das Geld kann man zu Hause eine Menge trinken.
Ich hoffe nur, dass man in der Zukunft seinen freien Abend nicht mit einer Literflasche Blutwurz oder einem Tetrapak Wein vor dem Fernseher verbringt und Leuten beim Kochen von Gerichten zusieht, die man selbst nie ausprobieren würde.
Andererseits würde es auf diese Art in der Gastropornobranche immer genug Arbeit geben.
Lust
Heavenly wine and roses sing to me when you smile
Lou Reed , »Sweet Jane«
(die langsame Version, die beste)
E s ist wieder Weihnachtszeit in Hanoi, und das Hotel Metropole ist hell erleuchtet wie ein Vergnügungspark. Im Garten erhebt sich ein monströser weißer Baum mit knallroten Christbaumkugeln über dem Swimmingpool. Die dekorativen Palmen erstrahlen unter dem Schein einer Million winziger Glühbirnen. Ich sitze in einem schweren Rattansessel, meinen zweiten Gin Tonic in der Hand - ein dritter wird folgen -, und ergehe mich in der Art Selbstmitleid, mit dem die meisten Menschen noch recht zufrieden wären. Die langsam rotierenden Deckenventilatoren verteilen den Duft von Weihrauch, der in der Luft liegt, ein ekelhaft süßlicher Geruch, der meine Gefühlsmischung aus dumpfem Kummer und wohliger Behaglichkeit angemessen widerspiegelt.
Wenn ich allein in einer südostasiatischen Hotelbar sitze, überkommt mich oft so ein Bathos, ein ironischer Schmerz,
gepaart mit einem trockenen Lächeln, das Gefühl von Distanz und Verlust.
Heute wird es verschwinden, sobald ich durch die Tür gehe. Wenn ich die anderen einsamen Reisenden aus dem Westen zurücklasse, alle, wie sie da sitzen, mit ihrem Gerald Seymour oder Ken Follett in der Hand, neben sich das schweigende Handy, jeder mit seiner Vorgeschichte, angefüllt mit Weltschmerz und unerfüllten Sehnsüchten.
Ein ganz klein bisschen angesäuselt, aber frohen Mutes schlendere ich durch die Lobby, das Dienstpersonal im áo dài , dem traditionellen vietnamesischen Seidengewand, grüßt mich auf Französisch - » Bon soir, Monsieur … ça va ?« -, und schon bin ich durch die Tür, und die Luft ist plötzlich erfüllt vom Brüllen Tausender Motoren, und das Gefühl ist weg. An seine Stelle tritt ein Schwindel, eine vertraute, sich plötzlich und überwältigend einstellende Freude
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