Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs

Titel: Ein bisschen blutig - Neue Gestaendnisse eines Kuechenchefs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Bourdain
Vom Netzwerk:
aufregendsten neuen Restaurants der USA - schien das ideale Umfeld zu bieten.
    Aber nein.
    Im Alinea erschien etwa alle zwanzig Minuten (zu früh - auf Dauer betrachtet jedoch nicht früh genug) ein Kellner
mit einer extrem ablenkenden Konstruktion, einem einzelnen effekthascherischen Stück biegsamen Draht, an dem man knabbern sollte, einem Teller auf einem langsam in sich zusammensinkenden Furzkissen, das Rosmarindünste oder so etwas abgeben sollte, einer Scheibe Schweinebauch, die sinnlos von einer Spielzeugwäscheleine baumelte - und jede Kreation wurde von einer langwierigen Erklärung begleitet, die unsere volle Aufmerksamkeit erforderte.
    Bei jedem Gang lungerte der Kellner wie ein frisch indoktriniertes, immer noch fröhliches Mitglied der Moon-Sekte neben unserem Tisch herum und wartete, dass wir unser Gespräch unterbrachen, bevor er uns die überlange Beschreibung der Gerichte lieferte, die wir essen sollten - und wie wir sie essen sollten. Meistens hatte ich mir das Ding jedoch bereits in den Mund gestopft und es hinuntergeschluckt, bevor er seine Ausführungen beendet hatte.
    Ich warf immer wieder verstohlene Blicke auf die Menükarte neben mir und hakte insgeheim jeden Gang ab, den wir bewältigt hatten. Es gab einen Gang - Hummer, wenn ich mich recht erinnere -, der zum Niederknien genial war. Das war auch der Gang, der ungewöhnlich schlicht daherkam. Nach dem Essen dachte ich, dieser Achatz mit seinen Fähigkeiten und seiner Kreativität wird eines Tages die Weltherrschaft übernehmen; wenn er diesen »form follows function«-Scheiß in seinen Menüs hinter sich gelassen hat, ist er besser als jeder andere dazu geeignet, Der Eine zu werden, der nächste Papst, der nächste Thomas Keller.
    Ich bin mit meiner Beurteilung des Alinea in der Minderheit. Viele, deren Urteil ich respektiere, halten es für das
beste Restaurant Amerikas. Tatsächlich betet meine Frau, die normalerweise eine viel härtere Kritikerin ist als ich, das Essen dort an. Als sie den ersten Entwurf für dieses Kapitel las, stieg dieses verrückte Huhn in ein Flugzeug, flog nach Chicago und aß - allein - im Alinea, weil sie wissen wollte, was ich zu meckern hatte. Sie machte genau die umgekehrte Erfahrung. Ich glaube, sie benutzte Adjektive wie »fantastisch«, »köstlich« und »unterhaltsam«, um ihr Menü zu beschreiben. »Eine der besten Mahlzeiten meines Lebens«, fauchte sie mich bei ihrer Rückkehr an.
    Da muss ich mir wohl so einige Fragen stellen.
    Bin ich ein mieser, abgestumpfter Stinkstiefel? Oder war das Menü im Alinea wirklich Schwachsinn? Oder gibt es eine dritte Möglichkeit - könnte man meine Reaktion auch irgendwie konstruktiv betrachten?
    Seien wir mal ehrlich: Ich bin in meiner jetzigen Situation ein ganz typischer abgestumpfter, überprivilegierter »Foodie« (in seiner negativsten Bedeutung), also genau der Typ Gast, den ich früher so verachtete. Die Art von Leuten, die weit mehr Sternemenüs in allen Teilen der Welt gegessen haben als ein normaler Gourmet, und (lästigerweise) nur allzu gern davon erzählen. Ich bin jetzt jemand, den ich früher am liebsten tot gesehen hätte, jemand, der ohne eine Miene zu verziehen tatsächlich jammert: »Zu viel Foie gras« oder »Schon wieder Trüffel?«
    Kurz gesagt, im Lauf der Zeit habe ich mich zu jemandem entwickelt, der lange, komplizierte Degustationsmenüs fürchtet. Ich habe es mir selbst lange nicht eingestanden. Aber damit ist jetzt Schluss. Die einzigen Leute, die lange, komplizierte Degustationsmenüs noch mehr fürchten als
ich, sind die Küchenchefs, die lange, komplizierte Degustationsmenüs auftischen.
    An dieser Stelle könnte man natürlich völlig zu Recht fragen: Ja und, du Idiot? Wenn du schon so voreingenommen bist, wenn du Degustationsmenüs so sehr hasst, warum gehst du dann ins Alinea? Und warum, warum ausgerechnet ins Per Se? Wo doch Thomas Keller die Degustationsmenüs praktisch erfunden hat?
    Eine berechtigte Frage, auf die ich keine Antwort weiß.
    Es stimmt, ich ging mit einer Beklommenheit ins Per Se, die sich deutlich von dem Gefühl der kindlichen Ehrfurcht unterschied, das ich vor vielen Jahren in der French Laundry empfand - als ein zwanziggängiges Menü noch etwas ganz Neues war. Ich glaube, ich bin ein Romantiker. Ich wollte glauben, dass Liebe alle Hindernisse überwindet.
    Denn eins ist klar: Ich habe für keinen amerikanischen Koch mehr Respekt als für Thomas Keller.
    Ich halte ihn für den »größten« Küchenchef Amerikas -

Weitere Kostenlose Bücher