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Ein bisschen schwanger

Ein bisschen schwanger

Titel: Ein bisschen schwanger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Dunker
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zuzurennen und nicht zu stoppen, bevor ich den Boden unter den Füßen verliere. Ich war überzeugt, zu feige zu sein, und begnügte mich sechs Tage lang damit, den Fliegern sehnsüchtig mit dem Fernglas nachzusehen.
    Am letzten Tag aber bot meine Mutter völlig überraschend an, mir den Tandemflug zu schenken, mein Vater wollte Fotos machen. Ich hätte gern etwas Bedenkzeit gehabt. In zwei Stunden jedoch wollten wir zum Hotel zurückgehen und die Sachen packen. Zu Hause würde Patrick auf mich warten. Mit ihm zusammen würde ich mich so etwas erst recht nicht trauen, Patrick ist bodenständig und technikbesessen, er liebt Autos, an denen man herumschrauben kann, träumt von einem selbst gebauten, ferngesteuerten Staubsauger, der die Wohnung ganz allein reinigt.
    Die Fluglehrer, die Touristen zu einem Tandemflug mitnahmen, waren so alt wie er und doch ein ganz anderer Menschentyp. Sie sahen aus, als besäßen sie gar keinen Staubsauger in ihren Wohnungen, schon gar kein ferngesteuertes Supermodell. Sie erschienen mir leichtlebig und wie extra dafür gemacht, sich von einem hauchdünnen Stück Stoff in die Luft ziehen zu lassen.
    Ich sagte meinen Eltern, ich wolle es versuchen.
    Daraufhin bestellte mein Vater sich erst mal ein großes Bier und behauptete, er müsse sich Mut fürs Zuschauen antrinken.
    Meine Mutter freute sich, machte sich aber auch deutlich Sorgen und fing plötzlich an, mir Gegenargumente anzubieten: »Du hast nicht die richtigen Schuhe an, der Film im Fotoapparat ist fast voll, jetzt ist es eigentlich schon zu spät, du wolltest doch noch mal schwimmen gehen, wolltest du nicht noch dies, wolltest du nicht noch das?«
    Sie hatten mit meinem Mut nicht gerechnet. Sie hatten in mir schon das stille, unauffällige Mäuschen gesehen, zu dem Patrick mich machen wollte. Aber ich war ganz anders!
    Der Absprungplatz war so klein, dass immer nur ein Gleitschirm starten konnte. Der Beschleunigungsweg war ebenfalls gering, man musste schon hoppla hopp den Berghang hinunterrennen.
    Natürlich hatte ich Angst. Aber ich wollte es unbedingt.
    Die Karabinerhaken klickten. Ich stellte mich vor den Fluglehrer, er sicherte mich an Armen, Beinen und Becken. Als er mir das Zeichen zum Start gab, rannte ich los. Sekunden später strampelten meine Beine in der Luft, ich quiekte auf, als ich die Wipfel der Bäume unter mir sah, so dicht unter meinen Füßen hatte ich Bäume noch nie gesehen, ich konnte sie fast berühren, ich quiekte noch einmal, als er mich dicht zu sich heran in eine bequeme Sitzposition zog, und ich spürte seinen Körper, den Druck seiner Schenkel, seine Nähe, seine Sicherheit gebende Nähe, und obwohl ich ihn nicht kannte, obwohl ich schon dabei war, seinen Namen und seine Augenfarbe zu vergessen, war er in diesem Moment der erste und einzige Mensch für mich, denn mit ihm flog ich. Wir waren eins, ein Lebewesen, ein Vogel. Wie ein Bussard nutzten wir die Thermik aus und stiegen höher in den Himmel, kreisten, glitten, lehnten uns in den Wind, segelten und sahen die Welt unter uns, die Baumwipfel, Hausdächer, Straßenbänder, Seeufer. Die Menschen unten waren unbedeutend und klein wie Ameisen, es gab nur uns auf der Welt. Wir hatten keine Probleme, nur das Glück.
    »War’s gut?«, fragte Martin keuchend und rutschte von mir und vom Sofa auf den Boden des Bauwagens.
    »Viel zu kurz«, flüsterte ich.
    Er lachte leise in sich hinein. »Woran hast du gedacht?«, fragte er noch, nahm meine Hand und knabberte zärtlich an den Fingerkuppen.
    »Ans Fliegen.«
    »Tatsächlich?« Martin küsste meinen Unterarm.
    »Hmmm«, machte ich und schloss die Augen.

Weltuntergangswetter
    29. September, 15 Uhr
    Draußen begann es zu regnen. Es wurde kalt. Martin zog sich an, gab mir meine Sachen.
    »Beeil dich bitte, ja? Mein Fehlen fällt sonst auf.«
    Ich flog nicht mehr, ich war nicht mehr im siebten Himmel und auch nicht mehr im Urlaub. Der Boden des Bauwagens war der Boden der Tatsachen.
    Aber wie auch immer: Wenn jetzt die Welt unterging, war sie nicht aufzuhalten, doch das Glück, das ich gehabt hatte, konnte mir keiner nehmen.
    »Jetzt wird’s Herbst!«, sagte Martin, als er die Tür des Bauwagens öffnete und ein kalter Windstoß hereinkam. »Ich mag es, wenn’s richtig kalt ist. Da hat man noch mehr Grund, sich zusammenzukuscheln. «
    »Ich mache jetzt einen Schwangerschaftstest«, sagte ich kühl und versteifte mich, als er mich küssen wollte.
    Martin wich zurück. »Was? Wieso das denn? Wir haben doch

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