Ein bisschen schwanger
geborgen fühlen, dass er die Filme seines Opas vergessen könnte.
Ich bin nicht diese Frau.
Aber mit etwas Glück wird er schon eine finden. Bei vielen Leuten gilt er ja sowieso als perfekter Mann. Melanies Mutter etwa hat immer gesagt: »So einen netten Jungen wünsche ich mir für dich auch, Melanie. Hat dein Patrick nicht zufällig noch einen Bruder, Linda?«
Langsam laufe ich weiter Richtung Innenstadt. Kein Mensch auf den Straßen. Die liegen alle in ihren warmen Bettchen und träumen von kleinen, goldgeflügelten Christkindern, die ihnen bunt-glasierte Kekse in den Mund schieben. Oder von computergesteuerten Staubsaugern, die die Namen der Ehefrauen tragen und nachts lautlos über den Teppichboden gleiten.
Da lobe ich mir doch das neu eröffnete 24-Stunden-Fitnessstudio. Hier werden keine Alpträume produziert, hier werden um diese Zeit kräftig Kalorien abgebaut. Glücklicherweise gibt’s dort auch nur eine hässlich-amerikanische Adventsdekoration, so dass ich nicht befürchten muss, bei ihrem Anblick sentimental zu werden.
Genauso wenig wie ich meine Entscheidung von dem Gerede meiner Eltern und Freunde abhängig machen sollte, darf ich mich von vorweihnachtlicher Gefühlsduselei oder von der Gänsehaut, die mir der Gedanke an Patrick verursacht, beeinflussen lassen.
Die Frage, ob ich meinen Termin in ein paar Stunden absage oder einhalte, wird mein Leben bestimmen, und darin kommt Patrick nun mal vor.
Noch bleiben mir ein paar Stunden …
Ich öffne die Glastür zum 24-Stunden-Fitnesscenter, betrete das Foyer und ziehe mir an einem Getränkeautomaten einen Energy-Drink.
Bevor ich mich auf einen niedrigen Heizkörper setzen kann, schlurft eine übermüdete Aufsichtsfrau heran und fragt, ob ich von zu Hause weggelaufen sei. Ich schüttele den Kopf und erzähle ihr, ich würde auf meinen Vater warten, der gleich von der Nachtschicht komme.
»Ach so.« Die Frau scheint sich nicht sonderlich für mich zu interessieren, sie reibt sich die Augen und blickt, bevor sie mich wieder allein lässt, auf ihre Armbanduhr. »Die Zeit geht und geht nicht um, findest du nicht auch?«
Ich zucke die Achseln. Sie würde es nicht verstehen, wenn ich genau das Gegenteil behaupten würde.
Der erste Moment
29. September, 16 Uhr
Nein, ich war blöd genug und Glück hatte ich auch nicht.
Der Test fällte sein Urteil rot auf weiß: Schuldig. Schwanger. Und zwar, ich rechnete, in der sechsten Woche.
Ich wollte um jeden Preis ruhig bleiben. Ich starrte auf den Teststreifen und versuchte mir einzureden, dass es vieles gäbe, was schlimmer sei. Eine Krebserkrankung zum Beispiel. Die Nachricht, dass meine Eltern bei einem Unfall umgekommen seien. Eine uneheliche Schwangerschaft vor hundert Jahren, vor zweihundert Jahren, im Mittelalter.
Ich sagte mir, ich würde schon irgendwie eine Lösung finden. Solange niemand von diesem roten Punkt wusste, hatte ich noch Zeit zu überlegen. Noch sah man mir nichts an.
Trotzdem kam Panik in mir auf. Verzweifelt versuchte ich sie zu unterdrücken, indem ich mich auf jeden noch so kleinen Handgriff konzentrierte. Ich wickelte den Teststreifen sorgfältig in ein Papiertaschentuch und schob ihn behutsam in meine Jackentasche. Leise öffnete ich das Schloss der Klotür, tastete mich mit ausgestreckten Armen durch den Raum auf den Tisch zu, griff in Zeitlupe nach meiner Tasche und hängte sie mir über die Schulter.
Dabei murmelte ich belanglose Sätze vor mich hin. »Die Jeansjacke muss mal wieder in die Wäsche und könnte dann auch für den Winter im hinteren Teil des Kleiderschranks verschwinden. Der Trageriemen der Schultasche muss dringend genäht werden, sonst wird er bald abreißen.«
Ich dachte, wenn ich es schaffe, mich an solchen Alltäglichkeiten festzuhalten, falle ich nicht um.
Vorsichtig schob ich mich aus dem Büro. Es kam mir vor, als wäre mein Bauch schon jetzt aufgeblasen und riesig, mein ganzer Körper kam mir schwer und fremdbestimmt vor, und es kostete mich eine enorme Anstrengung, den Muskeln Befehle zu erteilen.
Im Stall sprach Rabea noch immer mit den Kindern. Sie hatte ein kleines Mädchen auf Antonellas Rücken gesetzt und das Kind spielte mit den Fingern in Antonellas Mähne und gickste dabei vor Freude. »Ich will auch mal, ich will auch mal!«, schrien die anderen Kinder, die vor dem Stall warten mussten, sie drängten sich an die Stalltür, streckten die Arme nach Rabea aus und schubsten und knufften sich gegenseitig, um auf jeden Fall auch an die Reihe
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