Ein bisschen schwanger
aufeinander und sah auf die Stufen, Rabea murmelte ein »Guten Abend«. Bevor wir unsere Wohnung betraten, hörte ich unten Torsten Patrick ungläubig fragen, ob es zwischen uns jetzt etwa endgültig aus sei. Die Antwort bekam ich nicht mehr mit. Ich schloss die Tür.
»Der turnt ja immer noch hier rum!«, sagte Rabea verärgert. »Das macht er doch nur, um dich zu nerven! Und wie eifersüchtig er mich schon angeguckt hat, als wollte er mich gleich die Treppe runterschubsen.« Sie schüttelte sich wie ein Hund und versuchte anschließend, ihre Haare notdürftig mit den Händen in Form zu bringen.
»Meine Eltern haben schon mal überlegt, Patrick den Aufenthalt hier in der Straße und den Umgang mit mir gerichtlich zu verbieten. Aber das wollte ich nicht. Er tat mir ja auch irgendwie Leid. Außerdem gibt so etwas nur noch mehr Aufsehen und böses Blut.«
»Schon, aber du hast vielleicht zu viel Rücksicht auf ihn genommen und gerade jetzt solltest du deine Ruhe haben. Ich könnte dir anbieten … « Rabea brach ab, denn mein Vater kam dazu.
Er sah abgekämpft und fiebrig aus. Mit belegter Stimme begrüßte er Rabea, schimpfte über das Wetter und die defekte Heizung in der Zooverwaltung und lud uns ein, in der Küche einen Erkältungstee mit ihm zu trinken.
Rabea sah mich zögernd an. »Ich habe leider nicht viel Zeit, ich muss meine Tochter gleich von der Tagesmutter abholen«, erklärte sie.
»Ach so.« Mein Vater zuckte die Achseln und schlurfte hustend in die Küche. Er war hundertprozentig nicht in der Stimmung, mir nachher die Tigergeschichte zu erzählen. Er war jetzt kein Fels in der Brandung, an den ich mich anlehnen konnte.
Auch meine Mutter, die nun hinter uns durch die Wohnungstür hereinkam, erkannte meine Not nicht auf den ersten Blick. Völlig aufgebracht erzählte sie, dass man ihr auf dem Parkplatz des Supermarkts eine dicke Macke ins Auto gefahren habe, die ganze Beifahrertür sei verbeult. Eine Zeugin habe ihr berichtet, der Typ sei mit seinem Kumpel sogar aus seinem Auto ausgestiegen, habe sich den Schaden angeguckt und darüber gelacht. Dann sei er abgehauen.
»Hat die Frau sich seine Autonummer notiert?«, fragte mein Vater müde.
»Eben nicht!«, ereiferte sich meine Mutter. »Das war ’ne dumme Pute, sie hat gesagt, sie habe die Nummer nicht erkennen können, nur dass das Auto ein schwarzer Kombi und der Fahrer groß und blond gewesen sei. Bei so spärlichen Angaben winkt die Polizei natürlich ab, den Kerl kriegen sie nicht, den suchen sie wahrscheinlich gar nicht erst! Den Schaden werden wir jetzt selbst zahlen müssen! Eine Sauerei ist das!« Meine Mutter fluchte und hängte ihren Mantel an die Garderobe.
Erst jetzt fiel ihr Blick auf Rabea und mich.
»Was ist denn mit euch los? Ihr seid ja ganz nass und bedröppelt«, sagte sie und reichte Rabea, die sie ja schon an deren Geburtstag kennen gelernt hatte, die Hand.
»Wir sind in den Regen gekommen«, sagte Rabea ausweichend.
Ich sagte nichts.
Während der Blick meiner Mutter schärfer wurde und sich ihre plötzlich erwachende Aufmerksamkeit auch auf meinen Vater übertrug, blieb ich stumm und horchte. Eines war mir endgültig klar: Der Tiger war letztendlich doch entkommen und kein Argument meines Vaters konnte ihn in seinen Käfig zurückbringen.
Er war da, ganz nah. Das gelb-schwarze Streifenmuster auf Mamas Brillenetui erinnerte an sein Fell. Der nasse, schwarze Schal, der vom Garderobenhaken heruntergeglitten war und sich nun auf dem Boden ringelte, ähnelte seinem Schwanz. Die schwerfälligen Atemzüge meines erkälteten Vaters glichen dem Luftholen eines großen Raubtiers.
»Linda, was ist los?« Meine Mutter sprach mit leiser, keine Ausrede duldender Stimme. Ihre Hände waren dabei in Bewegung, trockneten mechanisch die regennasse Brille ab, legten sie zusammen, betteten sie ins Etui. Bei einer nervösen Katze ist es die Schwanzspitze, die stets in Bewegung ist, so signalisiert sie Verärgerung, Gereiztheit, Gefahr. Meine Mutter ließ ihr Brillenetui zuschnappen: ein Fauchen.
»Was ist los?«, wiederholte mein Vater. Er sprach jedes Wort einzeln aus, so als gehörten sie nicht zusammen, als sei jedes für sich schon eine Drohung: Ich zähle bis drei, und wenn du bis dahin nicht weg bist, beiße ich zu.
Rabea neben mir rührte sich nicht. Sie war keine Beute, sie war für Tiger nicht interessant. Aber helfen konnte sie mir auch nicht mehr, dazu war es zu spät.
Ich streckte meine Kehle hin.
»Ich bin
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