Ein bisschen schwanger
immer so gerne reden!«, sagte meine Mutter, seufzte, rieb sich mit den Händen das Gesicht und schüttelte ihre Haare auf. »Na, Gott sei Dank, das haben wir schon mal überstanden. Nun guck nicht so bedröppelt. Das schaffen wir schon. Wenn du willst, spendiere ich dir ein Eis. Komm«, sie hakte sich bei mir ein, »lass uns mal verschnaufen und dann ganz in Ruhe reden.«
Meine Mutter
30. September
Sie saß mir in der Eisdiele gegenüber und rührte beim Sprechen in ihrem Cappuccino.
»Wir werden es so machen, wie der Doktor gesagt hat. Wir haben ja fast sechs Wochen Zeit. Wir denken in aller Ruhe darüber nach. Welche Möglichkeiten gibt es? Was spricht dafür, das Kind zu behalten? Was spricht für einen Schwangerschaftsabbruch? Was gibt es noch?«
Sie leckte den Löffel ab und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.
»Du kannst es zum Beispiel auch austragen und zur Adoption freigeben.«
»Nein«, unterbrach ich sie knapp. »Ich will kein Kind, aber ich will auch nicht, dass es ein Kind gibt, das adoptiert wird und sich mit dreizehn fragt, wer eigentlich seine richtigen Eltern sind. So wie Sonja, was? Ich weiß noch, wie ungenießbar sie war, als wir in der Schule das Buch über das Findelkind gelesen haben und sie plötzlich auch unbedingt herausfinden wollte, woher sie stammt. Das war ein Theater, ihre jetzigen Eltern sollten ja möglichst nichts davon erfahren. Und als sie nach langem Hin und Her endlich die Adresse ihrer richtigen Mutter herausgefunden hatte und Patrick uns und die Clique zu deren Haus gefahren hat, da hat sie sich nicht mal getraut, aus dem Auto auszusteigen. Fast zwei Stunden haben wir da gewartet und bei jeder Frau, die vorbeiging, geguckt, ob sie Ähnlichkeiten mit Sonja hat. Tim und Till war es irgendwann langweilig, sie haben genervt und am Ende hat Sonja geheult und wir sind unverrichteter Dinge wieder nach Hause gefahren.«
»Das muss ja nicht immer so ablaufen«, sagte meine Mutter. »Es war ja vielleicht auch keine gute Idee von Sonja, euch alle zu dieser ersten Kontaktaufnahme mitzuschleppen. Wer weiß, vielleicht meldet sie sich später noch bei ihrer leiblichen Mutter, vielleicht braucht sie das aber auch nicht, weil sie erkannt hat, dass ihre Adoptiveltern für sie die richtigen und einzigen Eltern sind. Ich denke, eine Adoption wäre ein guter Mittelweg, du schenkst deinem Kind das Leben und befreist dich gleichzeitig von ihm.«
»Nein, das will ich nicht. Die ganze Schwangerschaft und die Geburt auf mich nehmen und das Kind dann abgeben? Nein. Außerdem kriegen das auch alle mit: die ganze Schule, die ganze Straße, die ganze Familie, Patrick! Patrick wird ausflippen, wenn er hört, dass ich das Kind abgeben will! Patrick wird sowieso ausflippen … ! « Ich fing an zu hyperventilieren.
»Linda!« Meine Mutter ergriff meine Hand. »Patrick ist jetzt Nebensache.«
»So? Okay! Und was meinst du, was los ist, wenn ich mit dem dicken Bauch in die Schule gehe? Alle meine Mitschüler werden über mich lästern, werden sich hinter meinem Rücken kaputtlachen und sagen: Ist die blöd, lässt sich ein Kind andrehen! Und dann soll ich es abgeben und mich anschließend fragen lassen: ›Wo ist es denn hin, das Kind?‹ Nee, nicht mit mir! Das kann keiner von mir verlangen!«
Energisch schüttelte ich den Kopf.
»Also kein Mittelweg«, stellte meine Mutter fest.
»In Gefahr und großer Not ist der Mittelweg der Tod«, zitierte ich düster eine Redewendung, die mein Vater häufig benutzt, und warf dem Kellner, der schon die ganze Zeit neugierig in unsere Richtung guckte, einen grimmigen Blick zu.
»Entweder«, sagte ich, »bleibt das Kind bei mir und Patrick hat nichts zu melden und keiner hat mir reinzureden, was ich mit ihm mache. Oder es wird erst gar keiner erfahren, dass ich schwanger war. Es wäre überhaupt das Beste, es so schnell wie möglich wegzumachen, ratz-fatz, bevor es Arme und Beine hat.«
Meine Mutter versuchte zu lächeln. »Und möchtest du das?« »Ich denke schon«, antwortete ich leise. »Was spricht denn dagegen? Außer dass es nun mal da ist, wie der Arzt gesagt hat. Ja und, aber was heißt das? Ich bin auch da, ich will auch was vom Leben haben. Mit Kind kriege ich nie wieder einen Freund und werde Patrick nie los, ich … «
»Hast du nicht einen neuen Freund?«
»Schon, aber … « Ich nahm eine Papierserviette und zerlegte sie in kleine Schnipsel. »Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, dass ich Martin nicht mehr gesehen habe, ich kann mich kaum noch
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